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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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in den Feuilletons fällig, und angesichts ihres nicht mehr einzuholenden Schatzes konnten die Autogrammbesitzer triumphierend ausatmen. Ihr Warten hatte sich gelohnt, denn schon sank sein Kopf dem schwarzen Mann irreparabel an die himmelblaue Brust, das einzigePlätzchen auf Erden, das Pratz geblieben war. Sah er das Stammeln der Tempelreste in der Abendsonne von Palmyra oder das Lallen seiner Erinnerungsruinen? Das Dröhnen seines Herzens kam immer näher, ohrenbetäubendes Elend schwoll an. Ein schreiendes Unrecht, ein Unding, daß irgendein anderes Lebewesen ein größeres Daseinsrecht haben sollte als er. Pratz sah jetzt nicht auf sein gesamtes Leben zurück, sondern wurde Zeuge, wie sein Nervengeflecht, wie das Wurzelsystem aus ihm herausgezogen wurde. Es donnerte in seiner Brust und hielt dann den Atem an. Der Blitz hatte wohl nicht zentral getroffen?
    Seine Frau kam ins Zimmer, direkt auf ihn zu: »Beinahe hätte ich es vergessen. Eine Paul, ich glaube Ann, jawohl, ohne e, Ann Paul, hat mehrfach angerufen. Keine Ahnung, weshalb.«
    »Jean Paul? I’m my own harshest critic«, wollte er noch seufzen. Die Welt, die nicht ahnte, daß ihre Fundamente in ihm wankten, sah nichts als eine zusammensackende Gestalt.
    Da stand plötzlich vor ihm die alte Liebe, die er auf dem Bahnsteig getroffen hatte. Sie winkte ihm, ein knapper Befehl war’s, diesmal einfach mit ihr einzusteigen. Wohin? Egal wohin, er gehorchte. Rette mich, rette mich, süßes Bild! Dabei glaubte er, von einem unerträglichen Krampf daran gehindert zu werden. Dabei war es doch nur das Losreißen und Abreisen.
    Der Musiker erklärte später, er meine, noch ein leises »Lielfe, Lielfe« gehört zu haben, mit Sicherheit aber ein langgezogenes »i« in einem zweisilbigen, wiederholten Wort, ein wohliges Stöhnen, das aus dem sterbenden Fremden herausgedrungen sei.
Nachruf I
    Als der junge Komponist Hans Keller die Todesanzeige las, erinnerte er sich an ein paar Minuten in Elsas Wartezimmer. Sie hatte ihm damals, Künstler zu Künstler, den berühmten Autor vorgestellt, vielmehr umgekehrt. Keller war verblüfft gewesen,wie gewaltsam, beiseitefegend der Mann Machtanspruch und zudem die prächtige Eitelkeit eines tanzenden und singenden Leierschwanzes ausstrahlte. Keineswegs unsympathisch, aber dermaßen idealtypisch! Nur die sehr zart geschnittenen Hände wiesen auf einen geheimen Widerspruch hin.
    Zweifellos hatte sich auch Pratz ein Urteil gebildet: »Junger Mann der Musik, ich hatte schon immer das Gefühl, daß mir die Musik Gesichter schneidet, liebe Grimassen, böse Fratzen, wie Landschaften. Ich höre sie nicht so sehr, ich sehe sie, die Musik. Junger Herr Komponist, der noch so hochgemut aus der Wäsche kuckt! Ich selbst raffe mich zu Pathos nur noch bei Vorträgen auf. Die Leute wollen es nicht anders. Ich aber gebe mir damit den nötigen Tritt in den Arsch, damit ich die 45 Minuten passabel vorangaloppiere und durchhalte.«
    »Idealtypisch armes Schwein!« hatte Keller da lächelnd gedacht.
    Und lächelnd dachte Pratz, wie er als sehr junger Mensch viele hochgerühmte Bücher gelesen, wenig davon verstanden und deshalb zunächst die Unverständlichkeit als sichere Qualitätsgarantie nachgeahmt hatte. Dann aber überlegte er, am Komponisten Maß nehmend, ob er als Romanfigur tauglich sein könnte, folgenden Satz zu sagen: »Jede Note ist ein Überlebensschrei gegen das unflätige Nichts.«
    Na? Pratz wußte nicht recht.
Rätsel
    »Er ist viel vollkommener eine Person als die meisten Menschen, denen ich begegnet bin. Seine Aura ist die einer bezwingenden künstlerischen Persönlichkeit. In seiner Gegenwart hatte ich die gleichen Empfindungen, wie wenn ich die Pavlova tanzen oder die Melba singen hörte.« Wer ist gemeint?
    Hilfe: Ein prächtiger, sehr eitler Vogel, der singt und tanzt wie in immerwährender Balz.
Nachruf II
    Auch Clemens Dillburg (der gerade die Demütigung eines den ganzen Körper malträtierenden Juckreizes erlebte, gegen den offenbar kein Kraut gewachsen war, so daß er, mühsam mit sich scherzend, überlegte, ob er, wäre er Herakles im Nessoshemd, wohl auch den Feuertod dem quälenden Weiterleben vorziehen würde), erinnerte sich. Die Krankentherapeutin Elsa hatte ihn, Dillburg, dem offenbar ungeduldigen Patienten Pratz als beispielhaft präsentiert, weil er sich nicht genierte, auf einem Gummiball zu hüpfen. »Christliche Demut?« hatte der Schriftsteller gefragt und umgehend völlig zusammenhangslos, wie um ihn zu

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