Gewäsch und Gewimmel - Roman
zu. Da läßt sich was aus dem schlechtesten Boden rausholen.«
»Gibt es schon einen Nachfolger?«
»Nach meinem Gefühl einen jungen Mann in großen Stiefeln, der mit allem einverstanden ist.«
Mutter und Kind
Jemand soll die hübsche Ilona mit ihrem kleinen Kind getroffen haben. Sehr glücklich habe sie ausgesehen, als würde der Metzger noch am Leben sein oder als wäre er es nie gewesen, daneben ein junger Mann. Der Bruder mit dem Kiosk? (»Man fragt ja nicht«), lachend und ganz vernarrt in das Kleine, das vor Vergnügen krähte.
Überhaupt, sagt der Jemand, habe, mal ehrlich, damals Hehe neben der blonden Ilona gewirkt wie Rumpelstilzchen neben Rapunzel. So? Dann war der gewisse Jemand bestimmt eine Libelle mit Silberblick!
Ilse im Verlies
Wie es denn ihrer kleinen Ilse gehe, fragt Elsas Freund in der Nacht.
In der vergangenen Woche habe sie fast nichts gegessen wegen der großen Hungersnot in China.
Zur Zeit schmachte sie in einem Kellerverlies, vergessen von Gott und der Welt, fern von Sonne und Freunden, nur einmal täglich werde ein Stück Brot zu ihr in die Tiefe geworfen und ein Krüglein Wasser herabgelassen. Sie leide diesen Zustand mit Tausenden unglücklicher Gefangener auf der ganzen Welt.
»Aha, also ist die unerbittlich heranwachsende Kleine nicht mehr in den Sohn des verstorbenen Pratz verliebt?«
»Sie hat ihn vor zwei Wochen als ihren, einer armen Witwe einzigen Sohn, unter vielen Tränen auf ein Segelschiff in die Grausamkeiten der englischen Handelsmarine auf die Meere der Welt entlassen müssen.«
Mit ihren Füßen aber gehe es von Dienstag zu Dienstag gut voran. Und was nur sie, Elsa, aus gewissen Anzeichen ahne: Kürzlich habe ihr ausgerechnet derjenige Lehrer, der sie gezwungen hatte, im Aufsatz peinlich genau das Innere des heimischen Kühlschranks zu beschreiben, das Heft mit dem Wort »Voilà« zurückgegeben. Es sei Ilse wohl so flirrend über die Haut gewandert, wie es im Krankenhaus die Hände des ernsten Arztes getan hatten.
Raabes Rätselfrage
»Wo bleiben alle die Bilder?«
Antwort (halbwegs): »Es würde uns, die wir selber vorübergehen, den Raum arg beschränken im Leben, wenn alle Bilder blieben.«
Wo gefragt?
In Pfisters Mühle. Dort mehrfach.
Liebe Herta,
stimmt es, daß Dein Vater Leiter einer ländlichen Volksschule war, ein Rektor, der sich aber nicht ganz korrekt verhielt? Ist es wahr, daß er sich von einem befreundeten Bürowarenhändler regelmäßig die Lieferung großer Mengen Schreibmaterialien quittieren ließ, ohne daß die jemals beim Kollegium oder den Schülern angelangt sind? Und ist das bloß deshalb nicht öffentlich geworden, weil er schon mit 44 Jahren an einem Gehirnschlag gestorben ist?
Ganz herzlichst
Deine Ruth
Aus der Fremde I
An Sabines Adresse ist eine Mail aus der Ferne geschickt worden. Das, worauf Hans, wer wüßte das zu sagen, vielleicht lange insgeheim gelauert hat, ist nun im Tristanweg angekommen: eine Nachricht von Anada. Sie hat die Zurückgebliebenen sehr viel länger warten lassen als Herr Hans damals von Alaska aus die Freunde. Weder Frau Wäns noch Sabine trauen sich, möglicherweise aus verschiedenen Gründen, Hans zu informieren. Die Zeilen: »Es geht mir gut, Euch hoffentlich auch. Anada« sind schließlich nicht an ihn gerichtet.
Für ihn kein Gruß des schönen, undankbaren Mädchens.
Aber ist sie wirklich noch schön?
Das ist nämlich die Frage. Sie hat ein Foto angehängt, das allerdings viele Monate alt sein könnte. Die beiden Frauen betrachten es gemeinsam und gründlich. Anada ist zu erkennen, das schon. Obwohl die weiße Haut ein bißchen schmuddelig, verstaubt, abgegriffen geworden und das Strahlen verschwunden ist, selbst die Zähne sind dunkler.
»Abgehärtet«, meint Frau Wäns nachdenklich und könnte nicht sicher sagen, was sie dazu fühlt. »Anada hat während der Reiserei eine Hornhaut bekommen, die ihr bei uns noch vollständig fehlte. Damals umgab und beschützte sie etwas, ein Schimmer, der nicht mehr vorhanden ist. Sie ähnelt jetzt trotz ihrer Jugend schon den alternden Einheimischen, die sie auf dem Bild von beiden Seiten so herzlich in den Arm nehmen. Vielleicht müßte sie dringend in die Frische Alaskas zurück.«
»Was für tiefe Ringe das Goldstück unter den Augen hat«, sagt Sabine, »und wo mag es inzwischen stecken? In London? Hongkong? Längst wieder zu Hause? Sie wird doch nicht den Umweg über die russische Arktis genommen haben.« Ihre Stimme klingt beschwingt: »Dort
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