Gewäsch und Gewimmel - Roman
restlichen Scherben gestürzt bin und es gleich zu bluten anfing. Es ist nichts an mir entzweigegangen, anders als damals nach dem Überfall auf meinen Rucksack im Schutzgebiet. Aufklären wird man ihn nie. Vorgestern konnte ich nur nicht allein aufstehen, und es war auch nicht nötig. »Um Himmels willen, Mutter, Mutter!« rief meine Tochter ja schon und half mir so liebevoll sie konnte, auch hier wieder ein gebräuchliches Zeichen der Reue, doch, wirklich einwandfrei besorgt, auf die Beine, holte ein Pflaster sogar mit Wasserabweisung, hat alles gutgemacht und das andere ausgelöscht, wie von mir lediglich eingebildet. Kein Wort fiel zwischen uns über den kleinen Zwischenfall.
Aber worin bestand meine Schuld? Ist Hans wegen meiner paar stummen Tränen ausgerissen? Was wirft mir das Mädchen vor? Da ist irgendwas, tief verborgen, nur was? Hat sie mich aus Zorn geschlagen, weil Hans uns einfach am Tisch zurückließ oder aus Ängstlichkeit gegenüber der einsamen Nacht? Nein, ich kann meinem Bärchen gegenüber keinen Groll hegen, ist schon gut, ist schon vergessen. Außerdem kam unser impulsiver Herr Scheffer, der doch aus Ratlosigkeit bloß einmal ums Haus gelaufen war, bald zurück, neu geboren von der Nachtluft, als wüßte er schon nicht mehr, was er angerichtet hatte.
Ich mußte nur einen Blick auf meine Tochter werfen. Seine schnelle Rückkehr entzückte uns beide, sie und mich, ob wir wollten oder nicht. Ihr sah man es an, mir bestimmt nicht, nein, mir, dem vergehenden Mütterchen auf der Bank und im Winkel todsicher nicht. Ich kann alles gut verstecken, oft sogar vor mir selbst. Sabine aber, mein ruppiger Schatz und eigen Fleisch und Blut, die versteht sich überhaupt nicht darauf, weniger als je. Sogar wenn ich auf mein Butterbrot kucke, spüre ich durch die gesenkten Wimpern hindurch, wie sie mit jeder Faser am Herrn Hans hängt, der doch nun als ihr Ehemann beglaubigt wurde. Es ist, als würde ihr gesamter Körper immerfort seufzenund schnaufen und sich am liebsten unter Ächzen aus sich herauswölben vor Sehnsucht und Liebe und all dem. Das Schmachten müßte ihn sehr freuen, es ist ja sein Werk, er hat sie schließlich, er allein aus dem Eispanzer und der mürrischen Kruste und mausigen Unscheinbarkeit herausgeschält.
Ja gewiß.
Es steht mir nicht zu, ich halte meinen Mund, kein Sterbenswörtchen, nichts kommt mir über die Lippen, jedoch, sehr heimlich und unterirdisch für mich gefragt: Muß die Unterwerfung der »Tigerin« mit so wochenlang fliegenden Fahnen geschehen?
Manches mag unserm Hans vom Hochmoor, dem großen Kind, schön und gut, das immerhin ein ausgewachsener Mann ist, komplett entgehen, aber so etwas wie dies hier, Sabines wüstes Verliebtsein, das würde er durch drei Zimmerwände und Hausmauern spüren. Da muß der von den Frauen, bis auf Anada, so verhätschelte Mann gar nicht erst den Blick heben, muß gar nicht erst hinsehen, kann dem Vorfall den Rücken zudrehen und weiß es doch.
Daß sie sich so verplappert in ihrem Glück, es so ausplaudert mit jeder Körpergeste! Hat sie denn nirgendwo gelernt, daß es der Liebe und erst recht den Männern nicht guttut? Ich möchte ihr einen vertraulichen Wink geben, aber sie begreift nichts, und wie könnte ich riskieren, es direkt auszusprechen! Das Ratschlagerteilen ist doch ein schlimmes Laster der Mütter.
Soll ich etwa rufen: »Stop, Kind, reiß dich zusammen, er wird deiner Anhimmelei überdrüssig, falls du sie zur ewigen Leier machst. Wenn es zu schlimm kommt, sag dir das Einmaleins auf oder denk an die Börse, an den aktuellen Goldpreis. Deine Verehrung langweilt ihn eines Tages«? Soll ich ihr einreden: »Wenn du die Leidenschaft nicht besser verbirgst, vertreibst du ihn«? Ich trau mich nicht, spüre auch nach wie vor die verzweifelten Fäuste von ihr, von Sabine, die doch schon so lange meine liebe Tochter ist. Wen hätte ich sonst?
Auch für mich ist es nicht leicht. Sobald Hans uns verläßt – das tut er unregelmäßig, aber oft, unberechenbar, das strengt uns so an, unbesorgt, wie es auf uns wirken könnte, wenn es ihn woandershin zieht, den liebenswürdigen Mann, der trotz dieser Launen, die ihm nicht bewußt sind, unseren Tristanweg sofort mit seinem Erscheinen verklärt –, sobald er fort ist, fängt Sabine an zu trauern und zu leiden. Es zerreißt mir, jedenfalls teilweise, das mütterliche Herz.
Es ist ein rücksichtsloses Trauern, ein Leiden ohne Mitgefühl, denn trage ich nicht doppelt schwer an allem? Ich
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