Gewäsch und Gewimmel - Roman
ich weiß es wohl. Meine Tochter übte noch, und der geringste stumme Spott in meinem Blick (ich traute mich aber nicht), schon ein winziges Erstaunen hätte sie ins Wanken gebracht an diesem ersten Morgen ihrer neuen Gestalt. Bereits am nächsten Tag, ruckzuck, brachte sie das zu voller und für mich, die doch jedenMorgen und Abend anwesend ist, schrecklicher Glaubwürdigkeit. Es ist das reinste Erstarren und Exerzieren. Ich spreche das so vor mich hin, in mich rein, zum Ofen hin, zum Herd, da mein Strohhütchen verschwunden ist, eine liebe Angewohnheit seit Kindertagen, abgelegt und wiederaufgenommen. Geduldiger Beichtofen!
Die eiserne, eisige Vernunft ist eingezogen. Gestern hörte ich sie am Telefon: »Nur 77 000? Aber ich hatte vor einem Jahr 135 000, dann fiel es ab auf 90 000, ich weiß, aber auch wieder hoch auf 110 000. 77 000 also jetzt! Ist das schlimm?«
Ich konnte mir nicht mehr vorstellen, daß sie von etwas anderem als von Geldgeschäften sprach, dabei ging es doch um die Menge ihrer Blutplättchen. Etwas so Biologisches hatte ich schon nicht mehr bei ihr in ihrer Nüchternheit mit Frost, Hagel, Graupelschauer, vermutet. Sogar den Raubtiergeruch hat sie von einer Stunde zur anderen durch Entschluß zivilisiert. Luise Wäns, sage ich mir, das bildest du dir ein. Wie sollte das denn möglich sein. Das kommt und geht nicht auf Kommando. Bei meiner Tochter eben doch!
Sie ist jetzt ein knirschender Ritter aus Aluminium, ein Küchengerät aus Stahl. Von ihrem Sohn spricht sie nun auch nicht mehr. Aber bleibt sie nicht trotzdem meine liebe Kleine, der ich so heftig das Beste des Lebens wünsche? O ja, aufrichtig wünsche, »aus vollem Herzen«, schwöre ich mir. Nur diese Fremdheit und Ferne, die hier eingezogen sind, die Beklemmung! Ich freue mich so gar nicht an ihrem »Glück« und täte es doch gern und wollte mich selbst vergessen darüber. Es würde mir auch gelingen. Aber so?
Als sie noch überlegte, ob sie das abhängige Berufsleben aufgeben solle, um ohne Einschränkung ihr Leben mit Hans zu genießen, hat sie mir erzählt, in der Bank, hinter den Schaltern, in den Büros bis in die höchsten Etagen hoch hätten die Menschen damit begonnen, alles Menschliche zu verachten. Das Mechanischeund Maschinelle, von der Kleidung bis zum Gehen, Essen, Sprechen würde dagegen von Tag zu Tag inbrünstiger erstrebt. Aus Angst, irgendwo Lehmklumpen unter den Schuhen oder an der Seele zu haben, hätten sie ihr Innenleben restlos modernisiert.
Man sehe sich an, wie sie sich durch das Treppenhaus bewegt! Sabine muß eine der Vorreiterinnen von denen geworden sein.
Wäre es besser, habe ich mich dann in meinem Fernsehversteck gefragt, wenn sie in ihrer Lieblosigkeit verwahrlosen würde? Gefiele mir eine nachlässige, womöglich entgleiste Sabine eher als diese hier in feldgrauer Kostümuniform? Was? Lieblosigkeit? Habe ich das wirklich gedacht, das häßliche Wort? Geht es schon um das Erkalten und Erlöschen? Das darf ich auf keinen Fall noch einmal denken. Sonst beschwört mein sechster Sinn die Geister der Unterwelt. Aber was hat das arme Kind denn noch so recht von Herzen gern? Die Menschen, das Leben, die Pflanzen? Die Abenddämmerungen auch nicht mehr. Wenn alles anfängt uns abzustoßen, anstatt mit süßer Kraft anzuziehen, weshalb existiert man dann überhaupt noch?
Gerade ist Hans ins Haus gekommen, mit leisem Schritt, leise pfeifend, und einer Flasche Champagner im Arm. Fünf Tage war er unterwegs, in seiner alten Wohnung vielleicht, vielleicht auf einer kleinen Forschungsreise. Sabine, die es wahrscheinlich weiß, hat es mir nicht gesagt. Eilfertig kocht sie sofort Kaffee, und Hans bemerkt bei seinem diskreten, aber festlichen Einzug nicht auf Anhieb das Förmliche ihrer neuen Art von Eheherzlichkeit, ganz ohne stumme Anklage. Ein Grund zur Beruhigung ist das keineswegs. Hans duscht schnell, kommt fröhlich im frischen Hemd auf die Terrasse und küßt uns beide.
Ach küßte er mich noch einmal auf den Mund! Dazu erscheint sofort das hohe, honigfarbene Pfeifengras aus seinem Reich vor meinen Augen.
Sabine kreischt bei seiner Annäherung auf, als hätte er einen Witz gemacht. Das läßt ihn zurückweichen, meinen HerrnHans, der doch immer das Niedliche, sanft Schnippische an Ilona verehrte, den das grazil Boshafte an Iris Steinert amüsierte, bevor er der weißen Anada verfiel. Er lächelt überrascht, eigentlich ein bißchen begriffsstutzig, und sieht dann mich an, sieht seine Frau
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