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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Entbehrung, furchtlos und noch so eben rechtzeitig vor Rost und Entlaubung durch sein golden schwimmendes, blinkendes Herbstreich wandern würde! Ich habe doch immer für mich meine Wanderungen alle aneinandergereiht, als würde es nicht im Kreis, sondern Stück für Stück nach vorn gehen. Jede Stundehätte ich am liebsten »endlich!« gerufen. Endlich würden die Pferde wieder für mich auf den riesigen Weiden stehen, ohne Bewegung in Trauer oder Glück. Aber was hatte ich da gedacht: »Teufelsspuk und Zorn der Nacht«? War ich, das gute Mütterchen Wäns, in meiner Freude verrückt geworden?
    Auch unternahm Hans offenbar nichts, um seine streng entschlossene Frau, mein schroffes Bärchen Sabine, umzustimmen. Hatte sie gehofft, er würde es versuchen? Mein Gott, ob es von ihr womöglich eine Gemütsprobe und Gefühlsfalle war?
    Ich zergrübelte mir nicht den Kopf über solche Kompliziertheiten, wieso auch, ich genoß nach Sabines Abreise die Vorfreude jede Minute und dehnte sie bedachtsam. Es gab sofort einen kleinen Zwischenfall. Die Katze führte sich zwei Tage lang ungewöhnlich schmeichlerisch auf, dann blieb sie eine Nacht lang weg und war den ganzen Tag apathisch, ohne zu fressen. Die anschließende Nacht verbrachte sie, nachdem sie gegen Abend sehr unruhig geworden war, wieder außerhalb und kehrte am Morgen abgezehrt, mit struppigem Fell zurück. Bei Anbruch der Dämmerung verschwand sie, wie leidend, als müßte sie eine qualvolle Verabredung einhalten. Am nächsten Tag wollte ich mit ihr zum Tierarzt gehen. Sie kam aber nicht mehr zurück. Mein sechster Sinn bewegte sich schwerfällig, als würde er unter Wasser taumeln. Dann stand sie abends neben meinem Fuß.
    Warum sollte ich jetzt schleunigst nach draußen drängen, wo mir doch alles sicher war? Von meinem wochenlangen Lauern auf eine Chance wie diese ahnte Hans hoffentlich nichts. Wir lebten erst einmal zu zweit vor uns hin. Es gab ein leichtes, immerwährendes Summen zwischen uns in der Wohnung. Mein stärker pochendes Herz verriet mich nicht durch den Brustkorb hindurch.
    Auch nicht, als Hans, der tagsüber oben an einem Vortrag arbeitete, mir beim Abendessen von einem Ehepaar erzählte, das mit seinen vier kleinen Kindern und mehreren Hunden in denWald des holländischen Grenzgebiets geflüchtet ist. Die armen Leute versteckten sich nun dort und hausten irgendwo in ihrer Not, im schattigen Grünen, in der Freiheit. Die Polizei hatte die Bevölkerung diesseits und jenseits der Grenze aufgerufen, den Aufenthalt der Familie, falls ein Wanderer sie sichten sollte, aus Verantwortung gegenüber den Kindern sogleich zu melden, da die Jugendämter den Eltern das Sorgerecht entzogen hätten. »Wir woll’n im grünen Wald ein freies Leben führen«, sang es in mir. Ein Weilchen preßte ich die Lippen zusammen, damit nichts nach außen drang.
    »Werden sie jetzt gejagt?« fragte ich dann und hörte, wie meine Stimme aufgrund eines ungenauen Mitgefühls aufdringlich bebte. Da sagte Hans in großer Liebenswürdigkeit, und auf der Stelle versank alles Mitleiden am Schicksal bleicher oder rußiger Waldbewohner in mir: »Ich habe nicht deshalb davon gesprochen, damit Sie sich bekümmern, Frau Wäns.«
    Wie vom Donner gerührt saß ich in der Enge unserer Küche:
    Hans war zum vertraulichen »Sie« unserer früheren Tage übergewechselt! Mit drei Wörtern hatte er allen Dunst aus dem Haus gefegt. Er hielt meinen Blick zu meinem Schrecken, zu meiner Freude kurz fest. Er sah das Gefühl, wie es in mir pulsierte, er sah es und sah ein wenig an mir vorbei, damit ich es leichter hätte, und lächelte etwas stärker, lächelte so, daß ich mit ihm lächeln mußte über mich, meine Schwäche und über diesen Augenblick. Ebensogut, sehr, sehr leicht hätte ich allerdings auch weinen können. Das spürte er wohl blind, denn war er nicht noch immer der alte Hans vom Hochmoor, mein königlicher Herr Hans, grauhaarig, gebeugt, müde und so schön, daß ich eigentlich nie den Blick wenden konnte und immer zu ihm hinstrebte?
    Hier aber, im Kaffeegarten, tut sich was. Die Serviererinnen und Kellner beachten trotz des spätsommerlichen Hochbetriebs die Gäste nicht mehr so, wie es sich schickt, nicken ihnen nur zerstreut zu, wollen zur Zeit weder Bier noch Apfelkuchen verteilen.Zwei der Männer, die eben noch Eisbecher auf die Tische setzten, tragen nun an Stangen einen qualmenden Feuerofen (die Galeristin Steinert würde sagen: Wie die Bauern auf Breughels ländlicher Hochzeit

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