Gewäsch und Gewimmel - Roman
Person am Telefon, ohne Erlaubnis die Gräben aus, legt sogar neue an, wohl aus nachträglicher Rache anScheffers Wiedervernässung. Anderes versinkt im Matsch. Niemand hindert ihn, niemand in der Behörde ist verantwortlicher Chef für die wirren Maßnahmen. Kein städtisches Geld für städtischen Schutz. Der ökologische Ausgleichsdeal ist längst gelaufen. Mindestens drei verschiedene halbbotanische Gruppen wurschteln jetzt unbeaufsichtigt mit- und gegeneinander, schaufeln, bohren und wühlen rechthaberisch die Gegend samt ihren einst so mühsam angesiedelten und sorgfältig überwachten Lebewesen zugrunde. Und kein Blitz fährt vom Himmel, kein Abgrund verschlingt sie.
Wie war Finnland damals so wohl ums Herz beim Anblick der heimlichen Gebüsche und Pflanzenwinkel gewesen! Jetzt erst begreift er es und starrt auf die Traktor- und Baggerspuren, riesig wie auf seinen Baustellen. Ein Satz fällt ihm ein, den Hans Scheffer in einer ihm, Finnland, teuren Minute in diese Landschaft nuschelte: »›Er hat das Leben und den Menschen – dieses reitende Folterpferd der wunden Natur – zu lange getragen‹. Der alte Jean Paul, Finnland.«
»Sie vermonden die Erde, Scheffer! Es schreit zum Himmel!« schreit der Fotograf in die Gräue des Schlachtackers. Kein Hans Scheffer läßt sich blicken zu dessen Rettung und keine kleine Frau Wäns.
Halb so wild
An einem heißen Sommertag dachte Herbert Wind an einen eisigen Wintertag in den Bergen, als er einsam in einer strömenden Lichtflut gegangen war, der er sich nicht gewachsen fühlte, anders als beim abendlichen Blick vom Fenster auf die Berge im hellen Mondlicht, das ihre schwere Festigkeit aufhob. Vielleicht hatte er sich deshalb absichtlich an etwas Dunkles erinnert, nämlich an eine kleine, vom Leben gegerbte Bauersfrau aus diesem Ort, deren krummgebogene Arbeitsfinger wie die Furchen ihres Greisinnengesichts ängstlich zuckten, wenn sie von denüberall anwesenden Geistern erzählte, von den winzigen abgeschnittenen Händen, die aus den Winkeln schwirren, um Gutes und Böses zu tun.
Beruhigt von so warmer Volkstümlichkeit, hatte Wind im Vorwärtsstapfen über das furchtsame Wesen geschmunzelt. Hinter sich hörte er, zunächst weit entfernt, die knirschenden Schritte eines zweiten Wanderers, die schnell und gleichmäßig näher kamen. Rechts von sich selbst sah Wind den schwarzen Schlagschatten des eigenen Körpers auf den angehäuften, gleißenden Schneewällen. Nun mußte der Fremde dem Geräusch nach dicht hinter ihm sein. In der schneidenden Menschenleere wurde etwas Aufdringliches, ein von außen zu dicht herangedrängtes Herzklopfen daraus. Schon erkannte Wind neben sich, wie der Schatten des anderen ihn, Herbert, überholend, sich mit dem seinigen überschnitt zu einer Doppelfigur. Da äugte er neugierig in der sonst bis zum Horizont unberührten Landschaft nach links, um einen Blick auf den Mann zu werfen.
Nur war da keiner.
Keiner ging seitlich, keiner vor, keiner hinter ihm. Niemand zeigte sich. Das Wesen mußte von ihm abgelassen und sich zu Winds nachwirkendem Erschrecken mit einem Riesensatz spurlos davongemacht haben. Wohin?
Eine knappe halbe Stunde später hörte er über sich den Rettungshubschrauber, der einen Moment lang wählerisch zu kreisen schien und dann entschlossen zu einer Gruppe herabstieß, die Wind zunächst für eine schiefe Arve im Schnee hielt. Wenig später erfuhr er von einem fremden Wanderer in vertraulichem Ton, daß es sich bei dem Opfer um einen Sechzehnjährigen handelte, der sich etwa dreißig Minuten vorher, aus der Eiswanne schießend, das Genick gebrochen hatte. Wind wußte aber nicht, ob es sich in Wahrheit um eine Übertreibung handelte. Vielleicht war es ja nur zu einer schweren Rückenverletzung gekommen? Das hätte er gern gewußt.
Ungebeten und übermütig erzählte ihm dagegen derselbe Informant dann ohne Übergang, die Pistenbuggys, die man nachts ringsum an ihren äußerst effektiven Scheinwerfern erkenne, manövrierten inzwischen aufgrund satellitengestützter Navigation. Der Fahrer könne sogar die jeweilige Dicke der von ihm gerade überfahrenen Schneedecke ablesen. Freilich sehe so ein »idyllischer Schneehang« auf dem Monitor des Raupenfahrers völlig anders aus. Mit der Alpintechnik gehe es in gewaltigen Schritten voran. Zwischen den Anbietern der Maschinen und Geräte gebe es eine Rabattschlacht, die sich gewaschen habe.
Könnte, indessen, dieser redselige Wanderer derjenige sein, der Wind vorhin
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