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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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alle zersplitternde Bosheit anwachsen und gedeihen bis zur Alleinherrschaft? Am Arm des mächtigen Hans vom Hochmoor würde es am ehesten gelingen. Uns erwarteten in diesen warmen, wolkenlosen Tagen Anfang Oktober bestimmt die ersten herbstlichen Vergoldungen, am Mittag eine Hitze wie im Hochsommer mit großen Libellen über den Teichen. Mein schönes Zittern würde in die Landschaft übergehen und das Zittern des Birkenlaubs in mich.
    Es kam anders. Er schien sich, als wir heute in das Naturschutzgebiet einbogen, gar nicht zu wundern, wie sicher ich trotz meiner gespielten Gebrechlichkeit neben ihm wanderte. Ziemlich bald mußte ich ja auch, ich, Luise Wäns, dann seine Stütze sein. Das hatte ich nicht für möglich gehalten: Angesichts der veränderten Landschaft zeigte sich sehr schnell und schrecklich das Umgedrehte. In Wahrheit war Hans derjenige, der sich nur an einem ihn haltenden Arm hierher traute.
    Ich stand einer Verwüstung gegenüber, so bestialisch, so ungeheuerlich, daß ich nichts zu sagen wagte. Die Wegränder waren verschwunden, manchmal lagen noch Wurzelverknotungen als Abfall an den Seiten, überall hatte man Gräben frisch aushoben, kein Dickicht, keine Gebüsche, kein Kraut und Unkraut hatte überleben dürfen. Wir sahen einen riesigen, ohne Ordnung umgeworfenen Acker, eine eingetrocknete Schlammwüste, keine Formen, keine Lieblichkeit mehr, dafür die tiefen Reifenspuren gigantischer Fahrzeuge bei den Flächenrodungen. Seine Pläne, seine Arbeit, alles war niedergewalzt und industriell ausgelöscht.
    Der endgültig entmachtete König Hans blieb stumm. Ich blieb es auch. Was sollte man sprechen, wenn man nicht fragen wollte. Was ist aus den Pflanzen und Freuden, den Wildnissen und kleinen Idyllen geworden? Sind die Schutzzonen für die Tiere, ihre sorgfältige Beobachtung und aufwendige Bewahrung nur Theater und nun verworfenes Experiment gewesen? Handelt es sich um eine große Degradierung, Rache oder um amtliche Verwahrlosung, weil der Stadt mit ihren anderen Ambitionen die Betreuung zu kostspielig wurde?
    »Herr Hans«, sagte ich nach schweigendem Drauflosmarschieren und konnte die Tränen nicht länger zurückhalten, »geht die Welt unter?«
    »Das will ich doch hoffen.«
    Nichts wäre falscher gewesen, als ein Gespräch führen zu wollen.
    »Holterhoff ist kein Dummkopf, Frau Wäns, das dürfen Sie nicht denken«, flüstert Hans plötzlich. »Er war Vermessungsingenieur. Der weiß gut Bescheid über Bodenspekulation und das Treiben in den überall entstehenden Industriegebieten, wo ein Baumarkt nach dem anderen bankrott geht. Auch dem ehemals blühenden Unternehmen Bruno und Magdalena Zock reicht angeblich das Wasser bis zum Hals. Man zieht aber keinerlei Lehren daraus, erschließt wie besessen und baut drauflos, als wäre nichts. Die Investoren wandern weiter. Holterhoff kennt die Tricksereien der Behörden und die Verleugnungen Zuständiger in dieser Stadt viel besser als ich. Finnland ist dagegen ein Dilettant. Früher mal hat Holterhoff einen Kampf riskiert und gewonnen. Es war ein Krieg gegen den rechtzeitig von ihm entdeckten Plan einer absurden Straßenüberbauung, offiziell bekanntgegeben, tatsächlich aber vor den Bewohnern verschleiert, bei der nichts als viel Geld rausspringen sollte, hier in der Nähe, im Nordwesten, ein Krieg gegen die Leute, die von ihrer Stadt, wenn sie unter ihresgleichen sind, nur als ›das Produkt‹reden. Holterhoff kostete es eine Ehe und so viel Nervenkraft, daß er in seinem grünen Anzug ein Quentchen kindisch darüber geworden ist, vielleicht auch überm neuen Verliebtsein, wer weiß das schon zu trennen. Man muß da scharf aufpassen auf sich.«
    Das Wetter schlägt um, auch hier im Waldcafé. Es herrscht noch keine Dämmerung. Nur das Nachmittagslicht ist allmählich erstickt und ausgegangen in einer dunstigen Gräue, die sich herangeschlichen hat, ohne daß irgend jemand was bemerkte. Jetzt aber, nach Entweichen des schmeichelnden Herbstscheins, zeigen wir alle Wirkung, am deutlichsten und hilflosesten die Hochzeitsgesellschaft. Die Leute frösteln, zahlen und gehen, die Festgäste müssen bleiben. Das fahlere Licht nimmt ihnen den Glimmer von den Kleidern und das Glühen von den Gesichtern. Es macht einer ratlosen Langeweile an den Stehtischen Platz. Was für ein verlegenes Vom-einen-Fuß-auf-den-anderen-Treten an ihrem hohen Festtag! Noch mal den Hochzeitsmarsch vom Band laufen lassen? Ein zündender, herzlicher Lach- und Krachmensch, wie wir

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