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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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ihn damals im Schlachter Hehe besaßen, steht ihnen nicht zur Verfügung. Wenn nur das Essen käme! Die Kellner verbergen ihre ländliche Derbheit nicht länger. Sie lassen mit der Geziertheit auch alle Höflichkeit fahren, geben sich nicht die geringste Mühe mehr – wie sie es vorhin als Flammenofenmänner taten –, die Stimmung zu befeuern und vom Alltäglichen ins Fürstliche zu steigern. Mit grober, überdrüssiger Routine hauen sie der Verwandtschaft, die zum Bier übergewechselt ist, die Gläser vor die Nasen und fangen endlich und ersehnt damit an, die freudlose Gruppe in einen hölzernen Feierbungalow zum Hochzeitsmahl zu verfrachten. Die königlich grüßende Frau mit Rollator schubsen sie rüde voran, trotz des verwegenen Galatülls. Haben die unwillig finanzierenden Zwerge nicht genügend Karfunkelsteine rausgerückt?
    »›… die Schöpfung zittert von Samba‹«, sagte Hans kopfschüttelnd, mitleidig beinahe. »Ist nicht von mir, Frau Wäns, fängt mit B an, eine Silbe. Na?«
    »Brecht?«
    »Scharf daneben! Nein, nicht von dem alten Pädagogen und Weiberhelden. Es stammt von dem anderen, dem besseren Dichter.«
    Wir hatten vorhin auf unserem Weg hierher das eigentliche Schutzgebiet verlassen. Weiden und Forst begannen. Da rief ich unwillkürlich: »Sehen Sie dort, die Großtante! Die chinesische Isa in ihren späten Buddha-Jahren!«
    Hans verstand mich sofort.
    Der böse Bann war gebrochen.
    »Und wer steht da, verkrampft und hochnäsig, wie wir sie kennen? Das kann nur unsere Jeanette sein, Jeanette Herzer!« Hans wies mit einer artigen Verbeugung auf eine albinohaft bleichhäutige Birke, die schon ihre goldenen Blättchen verloren hatte. Ja, es war Jeanette, der wegen mangelnder Lebensfeuchtigkeit oft die Oberlippe an den Schneidezähnen hängenblieb und sich einfach nicht entrollen wollte. Ging sie nicht zu Bruch wie Glas, konnte aber auch, anders als die gleichmäßige Ilona, unter günstigen Umständen, ebenso erglühen? Sie, Ilona, bildete allerdings zusammen mit Hehe das einzige Paar, von dem man sich dachte, es würde nach den Abenden mit Hans ohne vorübergehende Ratlosigkeit den Heimweg antreten.
    »Dahinten die struppige Waldfamilie, auch die Hunde sind dabei, gut im Grün verborgen, aber alles vollzählig versammelt.« Ich entdeckte sie in einer gemischten Nadelholzgruppe.
    Nun kamen sie der Reihe nach zum Vorschein in der Gestalt von Kiefern und Ebereschen, Weißdorn und Fichten, die entschwundenen Figuren unseres einstigen Zirkels im Tristanweg, hoch aufgereckt und umgestürzt, geduckt, verwachsen, übermoost, zerborsten und schräg gehalten im Fallen.
    Täuschend ähnlich getroffen auch nach der Verwandlung die Physiognomien: die elektrische Iris und die bittersüße Ilona, der kreuzbrave Finnland, der Ritter Bruno, knochendürr, der frettchenfreche Boris, Magdalena, die Blühende. Sabine. Hehe und Anada sparten wir selbstverständlich, aus jeweils anderen Gründen, aus, ohne Absprache. Auch wir, die beiden im Fleische Gegenwärtigen, Hans und ich, kamen nicht vor. Anna Hornberg jedoch, die Arme gehoben zur schmelzenden Todesarie, und die reichen Pariser Schwestern, als Obdachlose vermummt, um nicht überfallen zu werden. Drohend die schwarzen Hartmann-Brüder. Wir hatten ja für den kompletten Schwarm sämtliche Gewächse entlang der asphaltierten Wirtschaftsstraße in Reserve. Auch die Fichtenschonung mit den Schafen bot sich für unsere private Figurenherde an, und die hochstehenden Wiesengesellschaften im Bereich der Feldmark drängelten sich rechts und links, um in den Machtbereich unseres Blicks zu geraten, der sie endlich einmal enttarnte und aus der floralen Kostümierung erlöste. Es stand uns doch alles, nach der entgeisternden Fremde eben, für die tröstliche Kinderei zur Verfügung.
    Am Ende, in meiner Lieblingskurve, wo im Mai eine Wildrose stürmisch im alten Weißdorndickicht klettert, nahm Herr Hans mein Gesicht zwischen seine Hände. Ich fing an zu beben und dachte, nun würde er mich noch einmal küssen. Das aber tat er nicht. Er sah mich nur an, eine Weile, Auge in Auge, lange Zeit, mitten auf dem Feldweg, und mahnte mich, nicht auszuweichen, als ich es nicht mehr ertrug; »Sie sollen mich ansehen, Frau Wäns!«
    Auf dem letzten Wegstück zum Gasthof erzählte ich ihm, wohl weil ich seinen Kopf gerade vorher aus so großer Nähe dicht auf den Schultern gesehen hatte, noch verwirrt und vertrauensselig (obschon ich nicht von den Nachkriegsjahren sprechen sollte, denn

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