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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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der Taube die Flügel an den Körper, kehrte mit ihr ins Freie zurück und warf sie hoch in ihr Element.
    Einige Tage vorher hatte er komplett sein Kurzzeitgedächtnis verloren. Fünf Stunden dauerte es, bis sich die Vorgänge wieder in ihm zu speichern begannen und alles doch noch gut wurde. So war der Dank für die Rettung des Vogels im voraus erstattet worden. Oder hatte Herr Brück das Bild seiner Verwirrung und Rettung im nachhinein mittels der Taube produziert?
Streiche
    Nein, kein Mensch würde der kleinen Ilse was zuleide tun. Sie dagegen umgekehrt den anderen erst recht! Weil sie klein und mager ist, muß sie der Welt einen Tritt versetzen. Sie schneidet der Übermacht Grimassen. Niemand ist neuerdings sicher vor ihren Streichen, die keineswegs immer zum Lachen sind. Das Schönste: Nicht einer rechnet damit bei dem dünnen Kind, und keiner weiß, wovon es sich mit Vorliebe in kleinen Portionen ernährt: von Kaffeesatz, von den ersten Austrieben der Fichtenzweige und von Lippenstift.
Wünsche am Fenster
    Hamburg. Frau Fendel, deren einer Sohn in München wohnt, und deren anderer gestorben ist, malt sich aus, wenn sie am Fenster sitzt, man könnte ihr, falls sie wegen irgendwas im Sommer ins Gefängnis gesperrt würde, vielleicht zum Trost eine kleine Pflanze in die Zelle stellen, und sei es ein Topf mit Schnittlauch, und ihr um die Weihnachtszeit wenigstens ein Stück goldenes Band spenden.
    Aber warum ins Gefängnis, liebe Frau Fendel?
    Ach, nur so.
Wünsche im Krankenhaus
    Hamburg. Frau Fendel ist bisher nicht ins Gefängnis gekommen, aber immerhin ins Krankenhaus. Wie nüchtern es dort ist und wie vereinsamt Frau Fendel! Plötzlich erkennt sie, ja sicher, natürlich, in den Maschinen an ihrem Bett Maria und Josef, die Krippe, das Kind, auch Ochs und Esel. Da schießt eine Kraft in ihre Seele, die niemand ahnt. »Die Infusionen schlagen gut an«, sagt die eilige Schwester.
Frau Sykowas Geständnisse
    21. Dezember. Ihr Mann Jan sei in seinem ganzen Wesen ein Menschenfreund, gerade bei den instinktiven Handlungen verrate er sich. Sie selbst sei im Reflex immer menschenfeindlich. Nur um ihn, Jan, nicht zu betrüben, bemühe sie sich um ein gutmütiges Gesicht gegenüber der Welt, was ihr sauer werde. Es gebe auch Pannen. Doch wenn sie Musik höre, dann sei es, als dampften die Klänge aus ihr heraus wie ihr bestes Selbst und es verschwende und verströme sich. Auch schmelze die Musik in sie hinein als das einzig Wirkliche.
    Niemandem jedoch gesteht sie, daß sie in ihrer mit der Zeit noch wachsenden Liebe zu Jan der glücklichen Gegenwart grollt. Denn erhöht nicht jede Stunde mit ihm die kommende Trauer, wenn er ihr einmal genommen würde?
Reisende
    Kurios, daß der Mann, der vor Elsa im Zug sitzt, ausgerechnet auf das Wort »Murmeln«, jedenfalls »Murmeltier« gekommen ist! »Herrgott«, sagt er gerade, »ist das ein Stoßen und Drängeln. Wie die Leute nach dem Einsteigen schieben und miteinander ringen, nicht zu glauben. Dann plötzlich verschwinden sie, genau wie die Murmeltiere beim Wächterpfiff, nicht gerade in Löchern, aber weg aus dem Gang. So schnell hatte man uns früher nicht verstaut. Mag ein Fortschritt sein. Halleluja. Nur: Wie wirddie Neuerung enden für uns? Wir sitzen doch alle im selben Boot.« Eindeutig schwäbischer Akzent.
    Auch die Stimme, damals bräunlich vermischt mit dem schläfrigen Brummen der Waggons zu einem einzigen rostigen, tabakkrümeligen Murmeln, hatte eine, vielleicht sogar etwas stärkere schwäbische Einfärbung gehabt. Ja, damals: Damals murmelte eine wohlige Sicherheit um Elsa herum, es murmelte wie in Abrahams Schoß. Sie fuhr in einem leeren Abteil an einem warmen Spätnachmittag durch Sommer und Welt. Langsam bewegte sich der Zug auf seiner Nebenstrecke mit heruntergedrehten Scheiben im Licht und ließ Zeit für die glühende, wie mit zersplitterten Kirchenfenstern bedeckte Dahliengegend, glühend, wie sich Elsa gern ihre Haare vorstellte.
    Im Mittelgrund gab es Waldränder, aus denen gemächliche Bäche kamen und in die, genauso gekrümmt und hellgrau, kleine Wege eindrangen. Blau geschwungen wölbte sich am Horizont die Erde gegen den erreichbaren Himmel. Es roch nach Eisen, das lange unter Sonne liegt. Zwischen manchen Gleisen wuchs Kraut, solches, von dem sicher keiner den Namen wußte, und es blühten dort auch Königskerzen oder Goldruten, prunkten staubig durcheinander, wie ihnen der Sinn stand. Niemanden kümmerte es. Bald war Feierabend, warum sollte es

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