Gewäsch und Gewimmel - Roman
möchte? Der Mann, der beide Hände zum Zeichen seiner Unschuld hochhebt, lacht nun frei heraus. Ein afrikanisch glutvolles, menschenfreundliches Gelächter, das die Frau eigentlich nicht erbosen müßte. Es hört jedoch gar nicht mehr auf, steigert sich, beherrscht schließlich das ganze Abteil und will nicht enden.
Vielleicht doch nicht menschenfreundlich, durchaus nicht? fragt sich Elsa mit plötzlich stark klopfendem Herzen. Es vermischt sich so eigentümlich, beinahe höhnisch, fast schon rachsüchtig mit dem immer rasenderen Klappern, dem mechanischen Kreischen! Trotz der afrikanischen Warnung verläßt kein einziger Passagier, er kann es ja nicht, ist ja eingeschweißt in die Hochgeschwindigkeitsfolie, in den eisern, den wie von unwiderruflichem Urteil panisch zur Verderbnisvollstreckung vorwärtsgetriebenen Zug.
Elsa zwingt sich mit großer Mühe, nicht aufzuspringen. Könnte sie sich nur durch Flucht in Sicherheit bringen! Aber Glück gehabt! Denn jetzt, als sie kaum mehr mit einem so glimpflichen Ausgang rechnet, meldet der Zugführer, er habe von oben Befehl erhalten, die Reisenden umgehend aufzufordern, ohne Zögern den Zug, der so schnell wie möglich halten werde, zu verlassen, ihn schleunigst zu wechseln. An diesem hätten sich zu seinem Bedauern die Räder gelockert. Probleme mit den Stellmuttern wohl, wofür er, Zugführer und Teamchef, um Verständnis bitte.
Die weiße Muslima flucht. Der schwarze Mann wiehert. Die stumme Elsa schämt sich ihrer vorauseilenden, nun verflogenen Todesangst. »Drei Gefühle«, sagt Henri, der Mathematiker, in der Nacht, »›Todesangst‹ nicht mitgezählt.«
Elsa hört die Anführungsstriche. Wie gut er tut, der vertraute, alteuropäische Spott!
Gespräch zwischen zwei Schachpartien
(nach einer Grimmschen Sage)
Fritzle: »Was? Nicht nur bei den Jesuiten in Berlin und im Kloster Ettal?«
Freund 1: »Die Spitze des Eisbergs, sage ich. Jetzt geht ein großes Zittern durchs Land.«
Freund 2: »Und ihr selbst?«
Fritzle und Freund 1: »Wenn wir es recht überlegen: Wir auch!«
Freund 2: »Opfer oder Täter?«
Herr Fritzle und Freund 1, gespielt zitternd: »Wir wissen es nicht.«
Beruhigung
Sonnabend. Heute haben die Eltern von Eva Wilkens per E-Mail aus Chicago erfahren, daß ihre Tochter wohl doch nicht den ursprünglich geplanten Zeitraum in Amerika verbringen wird. Sie sollen sich keine Sorgen machen, wenn sie ab jetzt eine Weile keine Nachricht von ihr bekommen und Funkstille auf allen Ebenen herrscht. Alles sei trotzdem okay. Also: Keine dummen Gedanken bitte! Darunter: »Love, Eva«.
Angebot zur Güte
Berlin. Die Studentin Katja, die gar nicht sehr verliebt ist, aber ihren Willen kriegen will aus Gründen des Selbstbewußtseins, hat sich überlegt, ob sie einfach vor dem Botaniker langsam die Treppe hochsteigen soll, natürlich in ihrem kürzesten Röckchen,oder wäre ein langer raffinierter? Verflixt, sie kennt seinen Geschmack so wenig! Seine Frau jedenfalls ist eine womöglich ihr zweites Kind stillende Mutter, mehr läßt sich momentan nicht dazu sagen. Also: Langsam vor ihm her und plötzlich nach hinten fallen, wenn er mal ohne Anhang ist, direkt in seine Arme! Dann könnte sie in sein Ohr flüstern: »Warum erzählst du nicht weiter von den Uferbereichen des Bracks? Das mit dem Schwulsein war doch ein Scherz!«
Statt dessen hat sie etwas anderes gemacht. Wenn er in seine Wohnung will, muß er an ihrer Tür vorbei. Da äugt neben der Klingel seit heute morgen in einem Topf die exzentrischste Orchidee, die sie hat kaufen können. Sie steht in der Zugluft. Das wird sie nicht lange ohne Schaden ertragen. Höchste Zeit, der Pflanze beizustehen! Die stummen Leidensproteste der Orchidee werden dem Biologen in den Ohren hallen, jedenfalls sofort in die Augen springen und ihn um Beistand anbetteln. In einer Stunde kommt er mit dem noch dummen Kindchen nach Hause, stapf stapf, die Treppe hoch. Seine Frau ist zum Jobben oder Joggen, irgendwas. Wie wird er den Kopf aus der Schlinge ziehen? Gar nicht, ihn drinlassen!
Pratzens Zorn
Immenstadt im Allgäu. Nein, rief der Schriftsteller Pratz ins Hoteltelefon. Selbst ihm, seinem geschätzten Verleger gegenüber, bleibe er in diesem Fall hart. Keine Silbe über die Kindheit, keine übers Alter! Zwar sei es albern, Unbelehrbarkeit bereits für Charakter zu halten, aber hier gebe er nicht nach. Die Leute und vor allem die Kollegen täten immer so, als handelte es sich bei diesen Lebensstationen um einen
Weitere Kostenlose Bücher