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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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nicht kreuz und quer gehen? Durfte nicht alles ein bißchen einnicken in diesem Tuckern und sanften Ruckeln, drinnen wie womöglich auch draußen? Keiner widersprach. Alles war tiefgolden, altgolden, drinnen wie draußen. Rostiggolden murmelte der Spätsommer.
    Sie war hochgeschossen, als der alte Schaffner die Tür aufgeschoben hatte, stieß dazu sogar einen leisen Schrei aus. Der anscheinend einzige Mensch im gedankenverloren, aber pünktlich vor sich hintrudelnden Zug außer Elsa winkte sofort ab, wollte keine Karte sehen, nichts, er sagte nur und ging ein wenig in die Knie wegen der Aussicht: »Ein sagenhafter Nachmittag!« Da wußte sie gleich: ein Schwabe! »Feierabend«, flüsterte er weiterund setzte sich ihr gegenüber: »Schluß. Schluß für immer.« War ihm deshalb egal, ob sie mit gültigem Fahrausweis reiste? »Die letzte Fahrt. Habe in meinem Leben davon mehr gemacht, als Sie denken.« Tatsächlich, er sah nicht nur freundlich, er sah auch müde aus, die treue Uniform mit ihm. Bestimmt war es ein schwerer Abschied von diesem beständigen Dasein, wohlbegrenzt durch die Städte Flensburg und München samt dem Kleinkram nördlich und südlich davon, immer nah bei den Schienen und dem Geruch nach Rost und Schotter. »Ich bin froh, daß es soweit ist. Ich schwör’s Ihnen, bin heilfroh.«
    Das hörte Elsa seinetwegen gern. Er ergänzte dann aber, als verriete er ihr ein Geheimnis: »Früher hatte ich Angst vor dem Dienstende. Das ist vorbei. Viel Unheilvolles kommt auf uns zu. Das hier ist Vergangenheit, wie ich selbst es bin. Gezählte Tage.« Der Mann blickte sie aus einem Gesicht, das viel gelacht haben mochte, gramvoll an.
    Der Zug gondelte ohne Sorgen durch die Landschaft, eine kindliche Eisenbahn mit ihrem schnurrenden Gelärme. Der Mann, dessen Arbeitsstätte sein Leben lang eine solche Waggonreihe gewesen war, murmelte in Betrübnis, weil das alles demnächst verkauft, verschachert, gewissenlos und unehrenhaft verhökert würde an den Meistbietenden: »Und haben wir nicht die, die das erlauben, gutgläubig gewählt? Was hier verkommt, war doch unser Eigentum, unsere Heimat!« Er seufzte nicht. Sie hörte etwas anderes, ein Aufschluchzen ohne Tränen. »Mein Glück, daß es vorbei für mich ist. Nicht, daß mir das Herz bricht. Ich sehe nur schwere Unglücke kommen. Schreckliche Unfälle. Leichtsinn und Bereicherungssucht statt Präzision und Solidität. Es geht um Menschenleben. Das kümmert sie nicht.«
    Der Zug schwankte damals ahnungslos durch den braungoldenen Sommerabend.
    »Alles ist unbequemer mittlerweile«, sagt jetzt die gegenwärtige, ebenfalls schwäbische Stimme vor ihr zur vermutlichenEhefrau, »die Kopfstützen fehlen, die Fußstützen sind weg, die Sitze härter, die Abstände geringer. Und das nach all der Großspurigkeit, bei laufenden Preiserhöhungen und Serviceschwindel. Einsparungen allenthalben in die eigene Tasche. Man höre sich bloß das Rattern an. Die nehmen sich nicht mal die Zeit, die Schrauben festzudrehen.«
    Sieht auch dieser Mann und Schwabe, ein normaler Fahrgast, kein Bahnbeamter, in denselben, seit damals noch viel weiter aufgerissenen Abgrund der Gier? Außerdem hat er recht. Es klappert in der Nähe, irgendwo von der Seite her. Solche Defekte haben in den letzten Jahren viele Menschenopfer gefordert. Ein winziger dramatischer Sonnenuntergang schwebt in der Scheibe neben dem Sitz unmittelbar vor ihr. Es ist das spiegelnde Bild auf dem Display des Laptops, der vor der bisher wortlosen Ehefrau steht. Links in den Fenstern, das gesamte Großraumabteil entlang, geht unbeachtet die echte Sonne zwischen wirklichen Wolken, dem Vorwärtsrasen entrückt, feierlich, als wär’s ihr Lebensabend, zum Schein zugrunde.
    Manche Passagiere heben den Kopf, sie legen ihn schräg, sie horchen. »Nur keine Angst«, sagt der Mann vor ihr, »es klingt verdächtig, ist es aber diesmal nicht. Sehen Sie, da oben, die Schnalle des Gepäckstücks schlägt gegen die Wand. Keine Angst, liebe Frau.« Ach so, dann ist seine schweigsame Zuhörerin doch nicht mit ihm verheiratet! »Ich bringe das in Ordnung, Moment.« Er springt auf und ist ein tiefschwarzer Mensch. Eine Haut aus dem dunkelsten Afrika. Ein schwarzer Schwabe, ein schöner schwäbischer Schwarzer, dieser Landsmann des alten Bahners von früher.
    Als er wieder sitzt, klärt er die Frau neben sich weiter auf: »Von allen Positionen, in denen sich der Staat vertrauenerweckend, gemütlich, sogar liebenswert zeigen konnte, hat er

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