Gewäsch und Gewimmel - Roman
sich zurückgezogen. Denken Sie an die gute alte Post! Denken Sie an die gute alte Bahn. Verbürgte Qualität in beiden Fällen. Geblieben sindnoch das Technische Hilfswerk und die Feuerwehr. Aber was ist das schon, verglichen mit Bahn und Post, diesen Säulen des guten Staatlichen, die man uns gegen unseren Willen genommen, jawohl, gegen den Willen des Volkes privatisiert hat!« Die Leute ringsum lauschen. Das Schlagen und Hämmern ist wieder da. Sie nicken dem nachtschwarzen Mann grimmig zu. »Und was ist dabei rausgekommen? Man kann nicht mal lesen, weil sie auf Sparbeleuchtung geschaltet haben. Der ganze Affenluxus der Ausstattung ist Heuchelei.«
Manchmal schwankt jemand mit Rückenproblemen oder Senkfuß durch den Gang. »Patienten in Hülle und Fülle!« flüstert Elsa in sich hinein. Sie haben es schwer und müssen sich an die Lehnen klammern, dermaßen schleudert der Zug. Vielleicht ist der Lokomotivführer wütend auf seinen obersten Chef? »Wir werden ausgenommen«, ruft jemand. »Ausgeraubt vom Staat, geplündert von denen da oben. Nun lassen sie auch schon die Türen abfallen und schämen sich nicht.«
»Schwerste Zugunglücke in den nächsten fünf Jahren prognostiziert die Katastrophenforschung. Nach der jetzigen Sicherheitslage sind sie unvermeidlich. Die ist nämlich miserabel. Wartung der Züge, Wartung des Gleiskörpers? Warten Sie ab! Eine Wahl hat man nicht, man muß ja trotzdem fahren«, sagt der Schwabe, gar nicht laut, eigentlich nur zu der Frau neben sich. »Besonders die Passagen in den langen Tunneln sind sündgefährlich. Wir fahren ja gerade in einen rein. Merken Sie, wie es sich hinzieht in diesem unsicheren Bau? Draußen Nacht und hier die kümmerlichen Lichter. Aber nach außen ist alles auf scheinheilige Eleganz und erbärmliche Mehrsprachigkeit bedacht. Es wird uns wohl nicht gerade jetzt was zustoßen, doch wappnen muß man sich. Denn es wird schrecklich werden. Die Fahrgäste sind in der Falle wie die Murmeltiere oder meinetwegen Maulwürfe. Können nicht davonlaufen. Die Retter kommen mit ihren Löscharbeiten gar nicht an die Verletzten ran, Schafherdenblockieren die Ein- und Ausfahrten, Flammen, sage ich, Rauch, Hilflosigkeit. Warten Sie ab. Aber keine Panik. Ich rede nicht von heute, nein, von dieser, von unserer Fahrt hier nicht, um Himmels willen.«
»Schluß damit und Mund halten! Kein Bedarf. Ich fürchte mich nicht, brauche keinen Beistand, Sie … Schwarzseher!« zischt da auf einmal die falsche Ehefrau und erhebt sich. Elsa sieht sie halb von vorn. Stark verkrampfte Schulterpartie. Das ist keine Überraschung. Etwas anderes schon: Es handelt sich um eine Muslima, die aus ihren Verschleierungen heraus ein akzentfreies, wenn auch verblüffenderweise leicht schnoddriges Deutsch spricht. Der schwarze Mann, der ja die ums Gesicht gewickelten Tücher die ganze Zeit gesehen und zu deuten gewußt hat, lacht leise. Unter ihnen klappert es hartnäckig, lauter, stoppt, schon geht es wieder los.
Er hat überhaupt die ganze Zeit seine düsteren Botschaften in unpassend vergnügtem Ton gesprochen. Ob er glaubt, daß solche Katastrophen Dunkelhäutige wie ihn nicht treffen werden, nur die weißen Ureinwohner der Industriekontinente? Als die Frau an ihm vorbei ist, dreht sie sich fauchend zu ihm um: »Mir ist das schnuppe, guter Mann.« Es zeigt sich, daß die Muslima ohne Zweifel eine zum Islam übergetretene Deutsche ist.
Jetzt horchen alle, da sie in der schlechten Beleuchtung nicht mal Zeitungsschlagzeilen entziffern können, einhellig auf das Geräusch. Kommt nicht ein technisches Keifen, geradezu entsetzliches Knirschen dazu? Zugpersonal, das sie fragen könnten, taucht nicht auf. Nur die Muslima ist wieder da. Sie taumelt im Gang, wird hin- und hergeworfen vom rücksichtslosen Geschaukel.
Gerade als sie bei ihrem schwarzen Propheten ankommt, erfolgt ein solcher Stoß, daß sie, platsch, wie von höherer Hand gezielt, auf seinem Schoß landet.
Der Mann rührt sich angesichts ihrer Demütigung nicht. Groß ist aber die Empörung der eventuell sogar schwangeren Schleierfrau. Sie fährt hoch von dem schändlichen afrikanischen Schoß, als wäre er es, der schwäbische Schwarze, der sie belästigt, der sie unanständig in diese Lage gezwungen hat, sackt allerdings, vom Gerüttel des Zugs gezwungen, auf seine Knie zurück. Oder gefällt es der halbvermummten Deutschen auf den nichteuropäischen Schenkeln so sehr, daß sie bleiben und ein Weilchen verdeckt erotisch schaukeln
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