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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Freifahrtschein für Idiotien oder surreale Schrägheiten, um weit entrückte Zustände, denen man aus der Ferne einfach alles aufbürden dürfe. Er, Pratz, sei Kind und alter Mann, sei Frau und Tier und alles dazwischen gleichzeitig. Auch ekle er sich mittlerweile vor den in seinem Fach üblichenÜbertreibungen. Ihn reue, daß er so oft und leichthin von »Schönheit« und »Schmerz« geschrieben habe, statt von »Hübschheit« und »Zahnweh« zu reden.
    Übrigens, um auf die Gegenwart zu kommen, habe er gestern zufällig beobachtet, wie ein junges Mädchen am Vormittag ihren Freund mit Küssen aus der Haustür gedrängt, dann blitzschnell ihre Hand auf sein Glied gelegt und sofort in offenbar postkoitaler Heimtücke die Tür vor ihm zugeknallt habe. Eine nette kleine Szene für eine Erzählung? Schon! Nur sei ihm unmittelbar darauf der Gedanke gekommen, die Kleine habe da bloß irgendwas aus einer TV-Serie zitiert. Könne man natürlich so bringen. Schon. Und doch sei damit für ihn die Luft raus.
    War unser Pratz so ungnädig, weil er die süße, intelligenzfliehende Bibi wegen Quengelei entlassen mußte oder eher weil ihn der Verleger (und also die Welt) ausgerechnet in Immenstadt im Allgäu telefonisch erwischt hatte?
Deutlichkeiten
    »Eigentlich schade«, sagt einer der Schachfreunde von Franz Fritzle, Heinz, ehemaliger Irrenarzt. Er dreht einen schön geschnitzten schwarzen König, dann einen weißen Läufer in der Hand, »eigentlich sehr schade, daß heute alles mit Tabletten und Spritzen runtergedimmt wird. Zu meiner Lehrzeit gab es noch die spektakulären Krankheitsbilder, das Erlebnis des großen epileptischen Anfalls etwa, Tobsucht, Erstarrungen, Ausbrüche und Explosionen wie aus dem Bilderbuch, die schrecklichen Fratzen der Leiden, die jetzt alle medikamentös weggeschminkt werden.«
    »Ein Schulfreund, international tätiger Bauingenieur, Ägypten, Indonesien, Brasilien«, antwortet Fritzle, »erkennt keine Leute mehr. Sein Name bedeutet ihm nichts. Seine Familie, seine Vergangenheit: nichts! Seine Freunde sind für ihn Meisen und Rotkehlchen, die Futterkörner aufpicken. Die Vögel dieFreunde, die Freunde die Vögel. Das ist ein Fall von heute, und ist das etwa nichts?«
    »Was glaubt ihr denn«, sagt Freund Hans, »weshalb wir hier zusammenkommen und mit den Figuren rummachen? Feste Körper, strategische Züge!«
Wovon? Wer da?
    Frau Fendel predigt manchmal der Katze, aber nur, wenn die Katze damit anfängt. Sie hört dem Tier gut zu. Danach sagt sie irgendwann: »Ohne den Glanz blieben nur Öde und Asche zurück. Probier es, Emily. Ohne ihn ist nichts als Asche und Öde übrig, das heulende Elend. Du kennst das ja. So werden wir in die Enge getrieben. Aber wovon?«
    Jetzt lauscht Frau Fendel dem Schnurren des Beifalls. Ist es nicht übertrieben, wie inbrünstig sie das Tierchen streichelt? Ach, das tun ihre Hände ja ganz von selbst. Außerdem glaubt Frau Fendel an einen geheimnisvollen Stoffwechsel. Die Zartheit, mit der sie sich der Katze zuwendet, die sammelt und verwandelt sich in Emily zu großer Kraft, die sie an die Welt verströmt, durch alle Hindernisse, durch Fleisch, Bein, Stahl und Stein hindurch.
    Aber, Frau Fendel erschrickt, drückt da nicht jemand sachte von außen die Türklinke runter? Nein, das war nur ein Ton, der aus der Gurgel der Katze kam.
    An anderen Abenden, kurz bevor Frau Fendel das Licht anknipst, fragt sie sich, beinahe in Panik: Ob es wirklich diesmal angehen und aufglühen wird?
Letzte Nachricht
    Berlin. Das Ehepaar Wilkens erhält noch eine Mail aus Chicago. Nun sei es heraus. Sie werde sich nach Tadschikistan machen, Zentralasien. Sie habe ein günstiges Angebot. Bis dann mal von dort. Love E.
Liebe Herta,
    ich weiß, was ich versprochen habe. Doch, das weiß ich noch genau. Aber wie lange werde ich es wissen? Gestern habe ich auf die Uhr gesehen: genau 10.00 Uhr. Ich wußte, da war immer was. Irgendwas Bestimmtes habe ich jeden Tag um diese Zeit gemacht. Was bloß? Ob alles daher kommt, daß ich seit kurzem nicht mehr berufstätig bin? Tränen fließen bei jeder Kleinigkeit. Vor einigen Monaten oder so hatte ich Dir noch von den drei Geschäftsessen mit den drei Männern geschrieben!
    Ich habe freiwillig von mir aus versprochen, für längere Zeit keine Briefe mehr an Dich zu schicken. Das ist doch richtig? Vergiß mich trotzdem nicht, auf keinen Fall!
    Deine Ruth
Liebe Ruth,
    Leipzig. Ich besuche Dich, die Fahrkarte nach Frankfurt habe ich gleich nach Deinem Brief

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