Gewäsch und Gewimmel - Roman
Hoffnungen, die man auf sie setzt, wirklich standhält. In diesem Augenblick starren sie aber gebannt auf eine tadschikische Braut, die an einem Tisch mit roter Wachstuchdecke und einfachen Tellern sitzt. Sie selbst ist in glitzernde Schleier gehüllt. Darunter sieht man das bildhübsche Gesichtchen mit angeklebten Wimpern zur plustrigen Glamourpuppe geschminkt. Noch besser gefällt ihnen, den zarten Körper ihrer eigenen Tochter furchtlos in der zentralasiatischen Gerölllandschaft zu sehen, mutterseelenallein mit strahlenden Augen. Diese Art von Reise auf ihrem großen Fernsehschirm, die behagt ihnen, ganz wider Erwarten.
Eva Wilkens wiederum kann wegen der mitgebrachten Bilder in der Enge des Wohnzimmers atmen. Die Freiheit fährt als Luftzug in den elterlichen Raum.
Aber, sagt sich die Mutter insgeheim, hütete sich jedoch zu fragen, irgendjemand, den sie uns verschweigt, muß die Fotos von Eva doch geknipst haben!
Schöner Morgen
Aus irgendeinem Grund fliegen heute die Flugzeuge nicht, kein einziges ist zu hören. Dafür scheint die Luft mit schwirrenden Botschaften gefüllt zu sein. Die drei Geräuscharten, die Frau Fendel an diesem Aprilmorgen bei weit geöffneter Küchentür wahrnimmt sind: Glockenläuten, Meisenläuten, still vergnügtes Kühlschranksummen.
»Dieses tröstliche Glockenläuten«, flüstert Frau Fendel, »als würde man von einer guten Riesenhand unter die blaue Kuppel einer, ach, ich weiß nicht, einer Glockenblume, groß wie ein Dom, geschoben. Wenn ich heute meinen Gang von kürzlich wiederholen würde, könnte ich auch altertümlich sagen: ›Ich gehe zuerst gegen frühen Morgen, dann gegen späten Abend, dann gegen Mitternacht, von da gegen Morgen, dann gegen frühen Morgen, darauf wieder gegen späten Nachmittag.‹ Aber würde ich in einem solchen Tagesablauf nicht erst recht konfus? Es ist doch gut, daß sie modernisiert haben.«
Rätsel
Welche zweite Frau hängt, wie Frau Fendel, aus alten Zeiten ganz ähnlich wie sie am Glockenläuten?
Rex Brück hört zu
»Zu ihrem großen Unglück«, berichtet Herr Brück seinem Hund auf dem Abendspaziergang nach glänzendem Apriltag, »haben die Schweine einen dem Menschen sehr ähnlichen Verdauungstraktund wie er eine verletzliche, unbepelzte Haut. Sie kriegen auch vergleichbare arteriosklerotische Erkrankungen. Man kann sie dressieren wie euch Hunde. Sie sind uns hochgradig genetisch verwandt. Wie gesagt, diese Anmaßung bringt ihnen keine Vorteile, sondern rächt sich bitter. Wir sehen sie ja deshalb durchaus nicht als unsere Brüder im Rohzustand an.«
Rex nickt mißvergnügt, er hört das nicht gern. »Sie werden nicht nur in Massen von uns Menschen beinahe kannibalisch aufgefressen. Man läßt sie zu Forschungszwecken ersticken und erfrieren, amputiert ihnen die Pfoten, beschießt sie mit Schrot, läßt sie in Autos verunglücken und jagt sie mit Sprengladungen in die Luft. Nicht nur die medizinische, auch die industrielle und militärische Forschung benutzt sie als Standardversuchstiere. Sie werden genetisch standardisiert.«
Rex versteht, gibt aber keinen Kommentar ab. Er zieht es vor, an einem frischen Kothaufen zu schnüffeln und einen eigenen in der Nähe abzusetzen. Als er Herrn Brück dann aber ansieht, kommt es dem vor, als wären die Augen des Hundes naß.
Wandern
Tristanweg. Frau Wäns hat Elsa mit Blick auf die Wanderschuhe der beiden gefragt: »Gestern fand ich in einem vergessenen Karton meine schönsten Pumps von früher, High Heels, würde Iris Steinert sagen. Ach Frau Gundlach, was habe ich die Dinger ehrfürchtig angestaunt! Gibt es wohl einen einzigen Maler, der das Gesicht einer alten Frau beim Betrachten ihrer ehemaligen hochhackigen Schuhe gemalt hat?«
Was soll das denn?
Berlin. Die Studentin Katja rennt mit einem Brief in der Hand die Treppe hoch. Beim letzten Absatz vor ihrer Wohnung setzt sie sich auf die unterste Stufe und wirft sich dann auf den Rücken, so daß sie die Stufenkanten nicht nur deutlich, sondernschmerzhaft spürt. Macht nichts. Sie streckt beide Arme aus und bleibt, den Kopf im Nacken, mit einem Lächeln im Gesicht liegen, bis sie Geräusche hört. Was hat das nun wieder zu bedeuten? Eine Dehnübung? Neue Liebe?
Lästige Mitmenschen
Immenstadt. Ein Problem, mit dem ich immer wieder zu kämpfen habe, schreibt Pratz in sein Tagebuch, ist das vermeintliche Darstellen und Ausbeuten von Freunden. Dabei lasse ich schon die Dicken dünn und die Dünnen dick werden, die Braunen blond und die
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