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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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im übrigen Bescheid. Meine Mutter ist ausgezeichnet. Sie hat vermutlich von ›Stimmungsschwankungen‹gesprochen, von ›Niedergeschlagenheit‹? Ich selbst nenne das Kind lieber beim richtigen Namen. Der lautet leider ›Depression‹. Verzeihen Sie die Offenheit, meine Herren. Aber mit der Indiskretion wurde ja schon der Anfang gemacht.«
    Schade, meinte da Franz Fritzle zu sich selbst, der gemütliche Teil des Abends liegt hinter uns. Er fühlte eine Müdigkeit, für die es doch noch viel zu früh war.
    Fendel studierte die Figuren auf den beiden Brettern. Ein Gläschen Genever lehnte er ab, wobei er erklärend seine Hand auf den Magen preßte. »Bitte um Nachsehen wegen der Verspätung«, stieß er mühsam hervor. »Mich quält das viele Licht im Frühjahr, besonders das am Ende der immer längeren Tage. Normalerweise lebe ich zur Anpassung von März bis Mai bei runtergezogenen Jalousien.« Fritzle hätte nun gern gerufen: »Fangen wir an! Und Sie, gebrechlicher junger Dachs, heben Sie sich Ihre schwachen Kräfte für ein anständiges Spiel auf!«
    Davon konnte keine Rede sein. Der junge Mann stand vor den Schachfiguren und fuhr fort: »Nun beginnt wieder alles von vorn, die ewige alte Leier fängt an und hat nichts dazugelernt, mit Glück ein paar unerhebliche Paraphrasen allenfalls.«
    »Wie belieben?« fragte Heinz gereizt.
    »Den sogenannten schönen Lenz meine ich«, antwortete der Gast ohne Zögern. »Das Elend mit der zunehmenden Helligkeit, die das Kreuz der Wiederholungen so höllisch beleuchtet. Alles geht, für immer auswendig gelernt, von vorn los. Zum Heulen und Zähneknirschen. Ein paar Variationen der Wetterlage können nicht täuschen. ›Nichts Neues unter der Sonne‹, meint der Volksmund dazu.« Er stützte sich mit beiden Händen auf die Stuhllehne und prüfte nebenbei die Situation auf dem linken Brett. »›Was geschehen ist, eben das wird hernach sein. Was man getan hat, eben das tut man hernach wieder, und es geschieht nichts Neues unter der Sonne.‹ Tortur der Repetition.«
    »Was hat uns deine Frau Fendel nur für ein Früchtchen geschickt?«murmelte Hans, unangenehm berührt und gar nicht besonders verstohlen, zu Fritzle hin.
    »Und Sie? Sagen Sie bloß, Sie hoffen noch auf Überraschungen, erst recht nach so massenhafter Erfahrung mit Jahreszeiten und Co., mit der abgedroschenen Melodie, mit dieser Drehorgel und Mechanik bei klein und groß, reich und gering.«
    Wegen seiner aktuellen Vorgeschichte wagten die drei nicht, nein, nicht mal aus Bosheit, Fendel nach dem Köder des Lebens, nach den Frauen zu fragen. Nicht ohne Mühe versöhnlich, erkundigte sich Heinz: »Ich dachte, wenigstens der Homo sapiens sei unendlich variabel. Ist er es nicht?«
    »Immer das gleiche Grüßen und Grinsen«, keuchte Frau Fendels Früchtchen und Sohn. »Immer dieselbe Zerstörungslust, immer derselbe Trieb, optimistisch zu sein. Wie ertragen Sie frohgemut, was doch jedesmal quälend erwartbar ist? Wie halten Sie die tautologische Fortsetzung aus? Ich spreche nicht vom Streß des Auf und Ab an sich. Ich rede vom Streß seiner Schematik, von der Einfallslosigkeit der Abläufe. Perpetuierung in Permanenz. Statistisch gesehen werde ich länger leben als Sie, aber nichts wirklich Überraschendes wird mir passieren, ob Sie das hoffen oder fürchten. Die Abweichungen sind Firlefanz zur Augentäuschung, Bagatellen.«
    Beim vorletzten Wort identifizierte Fritzle den Eindringling, der sich trotz seelischer Hinfälligkeit mit jedem Atemzug fürstlicher gebärdete, erkannte ihn am Sog der tödlich schwarzen Pupillen. Doch da war es schon zu spät: Er hatte keinem anderen als dem nächtlichen Unhold an den Scheiben die Tür geöffnet.
    »Oben im Weltraum nichts anderes, nichts als da capo und Refrain. Ewige Öde von Sternentod und Sternengeburt. Man schminkt uns die Teleskop-Rohdaten barmherzig bunt, damit wir ein bißchen zum Staunen haben. Gehen Sie mir bloß ab mit dem Universum. Großartigkeit? Da lachen die Hühner! Leider dauert es noch vier Milliarden Jahre bis zum Wärmetod.«
    Fendel schlug die Freunde dann rasch nacheinander, eins, zwei, drei. Mit nicht nachlassender Konzentration setzte er sie ruckzuck matt, Franz, Heinz, Hans. Fritzle aber dämmerte, daß sie von dem leichenblassen Spielverderber schon besiegt waren, bevor der die erste Figur in die Hand genommen hatte.
    Sein entscheidender Schachzug? Die Introduktion.
Rätsel
    Eine männliche Stimme sagt: »Wer weiß, ob der Odem der Menschen

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