Gewäsch und Gewimmel - Roman
von der Arbeit mit Bolzenschußapparat, Betäubungszange und Rückenmarkszerstörer auf den Schlachthöfen. Warum denn nur?
Iris hat nicht aufgehört zu schielen, von einem zum anderen im Kreis herum, und zu kichern: »Kein Stil, der Mann! Abgeschmackt!« Ganz zusammengekrümmt war zwischendurch der dünne Körper, sie konnte nicht anders. Aber Hehe, unser ökologischerMetzger, der ursprünglich sein Handwerk in den Schlachthöfen Chicagos gelernt hat und später, so Sabine, vor seiner Umkehr ein bedeutendes Fleischereiunternehmen besaß, auch er konnte seinerseits nicht anders. Er mußte von diesen groben Dingen sprechen.
Höchste Zeit, daß Herr Hans zu uns zurückkehrte!
Das spürten alle. Am meisten vielleicht Herr Hehe selbst. Auf einmal begann er zu stöhnen. Er röchelte wie einer, der im Handumdrehen ersticken wird, stieß den Stuhl weg, den Bäder noch gerade festhalten konnte, und riß ein Fenster auf. Wir sahen an seinem starken Rücken, wie er seufzte und kämpfte und nach Luft rang im schweißnassen Hemd. Er hopste beinahe dabei wie ausgelassen. Durch die deutlichen Muskeln wirkte es katastrophal. Sie nutzten ihm ja kein bißchen. Sabine rannte nach einem Glas Wasser, aber er wies sie strikt ab. Nur der Frauenarzt durfte zu ihm, und dem gelang, wir sahen es von hinten, den keuchenden Hehe zu besänftigen. Wer weiß, wodurch. Gut, daß wir das entsetzliche Geräusch, das aus Hehe herausgedrungen war, nicht mehr hören mußten.
Danach fuhr der totenbleiche Schlachter, dieser herzensgute Mensch, vom offenen Fenster zurück. Man sah im Dunkeln die blühenden Kirschbäume wunderschön im Mondlicht als Hintergrund, und er schmunzelte nun ohne Übergang. Von einem Ohr zum anderen schien der Schnauzbart zu reichen. Er blutete ein bißchen im Gesicht, ob aus Nase oder Mund, ich weiß es nicht, vielleicht war es nur eine Verletzung durch das heftige Fensteraufreißen? Er hielt sich an Herzer fest, dann rief er mit einer Stimme, die noch ein bißchen heiser vom Husten war: »Wenn der Geschlechtsverkehr ein kleiner Tod ist« – aber vorher, vorher hat er etwas geflüstert. Ich verstand, hinten in meiner Ecke: »Das war die Strafe!« –, »dann will ich doch hoffen, daß der große Tod ein Orgasmus mit Pauken, Trompeten und Posaunen ist. Und mit Streichern zwischendurch!« Richtig, das hat er in Wirklichkeitja noch hinzugefügt und wieder so polternd ansteckend gelacht, wie wir es von ihm kannten und wie es uns so unentbehrlich war in den trüben Wochen ohne unseren Herrn Hans. Und klärte uns nicht Dr. Herzer darüber auf, daß es bei nicht mehr ganz jungen Menschen nach dem Geschlechtsverkehr gelegentlich zu temporärem Verlust des Kurzzeitgedächtnisses komme, daß also in einem solchen Fall nach dem eingebildeten kleinen Tod noch ein zweiter, weniger amüsanter folge? Aber keiner aus der Runde nickte, keiner wollte damit etwas zu schaffen haben.
Nein, keiner, vielleicht nicht er, nicht mal der Frauenarzt Herzer, der Mann der empfindlichen Jeanette, die so schutzbedürftig ist und die von Hehe spendierte kleine Schlachtplatte zurückgeschoben hatte, weit von sich weg bis zur Mitte des Tisches, niemand kann damals Schlimmes geahnt haben. Ich selbst dachte, Hehe hätte sich bloß böse verschluckt, denn er machte danach doch schnell wieder Witze zur Entschuldigung und zeigte seinen warmen Lebensmut. Er erinnerte sich, was mich sehr erstaunte, an den Nachbarn und moosgrünen Kiebitz-Krähen-Wächter Holterhoff, den mit den Geburts- und Sterbenamen vom ersten Abend bei uns, an meinen guten Holterhoff, und meinte, wenn der einen ordentlichen Antrag auf Beitritt stellen würde, sollte man ihn, natürlich nur mit dem Einverständnis des leider fortgesetzt abwesenden Herrn Scheffer, in unseren glanzvollen Kreis aufnehmen. Ich fühlte mich richtig geehrt.
Aber inwiefern war der Anfall eine Strafe gewesen? Sabine vermutete, die Züchtigung sei nach Meinung Hehes aus der Ferne von Hans geschickt worden, weil der Metzger uns gegen unsere Abendsitte mit so derbem Zeug gekommen ist: »Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Ein klarer Regelverstoß. Schließlich«, sagte sie, »unterhalten wir uns hier doch aus gutem Grund nicht über solche Geschichten.«
Dabei steht gerade meiner Sabine etwas sehr Schmerzliches ins Gesicht geschrieben. Ach, das liebe Mädchen weiß nicht, wie schlecht sie es verbergen kann. Sie ist aus dem Alter heraus, wo Leiden schöner macht. Sie lächelt tapfer darüber
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