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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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er sich zu Hause. Uns wachsen sein Bruchwald, seine Besenheide, selbst seine standortfremden Kiefern, begleitet von Rotrandbär und Vierflecklibelle schließlich fast in die Zimmer, und von seinen Wiedervernässungsmaßnahmen in unserer Wandergegend hätten wir ein grämliches Liedchen zu singen gewußt, schwiegen aber still, um ihn nicht zu erzürnen. Wie groß und rot sein Kopf nämlich vor Ärger werden konnte! Auch das gefiel mir, hinten in meinem Eckchen. Ich blieb ja ungeschoren, ich mußte mich nicht mal ducken, wenn was zum Ausbruch kam. Wie hat Herr Hans mit uns die richtigen Naturbezeichnungen geübt, die ein Frauenarzt und ein Metzger, eine Galeristin, eine vierfache Mutter und so weiter doch überhaupt nicht kennen müssen und in ihrem Leben nicht benötigen. Aber da verstand er keinen Spaß, da niemals, der liebenswürdige, mäkelnde, tobende Mann. Was für ein prunkendes Selbstbewußtsein, damals.
    Anada Aki mit den weißen Armen, auf denen ein stumpfer Schimmer lag, ein Schein von irgendwoher, aus unsichtbarer Quelle, aber so, wie ihn die gespiegelten Birken jetzt auf gefrorene Weiher werfen, wohnte im letzten Sommer einige Wochen in unserem Haus. Hans hatte darum gebeten, und Sabine, meine liebe, unbeholfene, so gar nicht ein wenig hübsche Tochter stimmte, sogleich Feuer und Flamme, zu.
    Wenn Anada zum Frühstück an unserem Küchentisch saß,war ihr Gesicht zuerst vom tiefen Schlaf geschwollen, die Augen ein bißchen blutunterlaufen, bis das Kinderfrätzchen mit jedem Schluck Kaffee straffer wurde. Unter den Augen gab es jeweils einen halbmondförmigen Wulst, ja, einen Sichelmond, der auf dem Rücken lag, eine glänzendfeuchte, gebogene Rinne. Ich habe das Mädchen immer ansehen müssen. An der linken Hand trug es nebeneinander zwei Silberringe, an diesen unglaublich biegsamen Fingern, mit denen es manchmal kleine Kunststücke vorführte, als wären die Gliedmaßen aus knochenlosem Stoff. Wenn Anada auf etwas hinwies, tat sie es nicht mit dem Zeigefinger, sondern stets mit dem kleinsten, sehr niedlich, selbst wenn es um Unappetitliches ging. Vielleicht eine indianische Eigentümlichkeit. Ich bin ja nie dort drüben gewesen, bei ihnen, bei diesen, ich glaube, Black-Foot-Leuten.
    Sanftmütiger als sie konnte ein Mensch nicht sein. Sie saß da und schwieg und lächelte auf ihren Schoß hinunter, während sie in großer Langsamkeit ein Stück Brot zum Mund führte und mit der anderen Hand unsere Streifenkatze auf ihren Oberschenkeln streichelte. Anada schien im Grunde unaufhörlich nach unten zu sehen. Es war bei ihr normal, daß sie die Lider gesenkt hielt. Das wirkte ganz besonders mild, gesammelt und zu Recht unschuldig auf mich. Um so mehr freute man sich natürlich, wenn sie einmal die Wimpern hob und man ihrem Blick begegnete. Denn eigentlich blickte sie nur dann auf und nicht nach innen, wenn sie strahlte. Vielleicht strahlte sie auch bei niedergeschlagenen Augen vor sich hin? Sie half uns ohne Aufforderung, wo sie nur konnte im Haus, machte nicht die geringsten Umstände und war mit allem einverstanden.
    Herr Hans kam damals oft vorbei, um einen Blick auf sie zu werfen, »aus Verantwortungsgefühl«. Dadurch sahen wir auch ihn öfter als sonst. Es ergab sich eben so.
    Was mir aber heute zusammen mit den beiden anderen Sachen eingefallen ist, das passierte an einem Augustmorgen, alssie wieder still vor sich hinlächelnd die Katze streichelte, mit den weißen Fingern sicher fünfzigmal vom Nasenrücken den schwarzen Linien des Fells ganz verhext zwischen den Ohren hindurch folgte bis zum Hals, und plötzlich das Tier, ohne die leiseste Vorankündigung, mitten in die Versonnenheit hinein fauchend das dunkel geränderte Maul aufriß. Das Geräusch stand heiß in der Luft. Mit den Krallen, von einer Sekunde zur anderen, zeichnete die Katze blitzschnell eine rote Spur auf Anadas weißen Arm.
    Besaß sie eigentlich keine Uhr? Ich habe nie eine an ihrem Handgelenk gesehen, auch bei der Ankunft und Abreise nicht. Wofür hätte sie die auch bei uns gebraucht?
    Wir, Sabine und ich, wissen, daß solche Wunden nicht sehr schmerzen. Man zuckt zusammen und desinfiziert die Stelle. Sonst nichts. Das Mädchen aber, das doch, wie wir nach und nach erfuhren, bereits aus Abenteuerlust mutterseelenallein durch fremde Länder gereist war, veränderte seinen gesamten Gesichtsausdruck. Anfangs wurden nur die beiden Rinnen unter den Augen etwas feuchter. Es überraschte mich, und ich dachte noch, ich würde mich

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