Gewäsch und Gewimmel - Roman
das Tierauge sah, aber es starrte noch immer, gebannt, ohne Regung, ohne Geräusch. Da merkte ich: Es blickte mich gar nicht an, nicht direkt. In Wirklichkeit sah es leicht an mir vorbei, halb durch mich durch, halb an mir entlang. Es änderte nicht die Richtung, der Blick hatte von Anfang an nicht mir gegolten, nicht ganz mir.
Es war genauso, wie auch der Herr Hans mich und uns alle ansieht!
Am ersten Abend bei uns im Tristanweg, an dem Sabine fast geweint hat vor Aufregung, bevor all diese im Grunde doch sympathischen Leute eintrafen, kannten die Besucher, die vielen Fremden,einander schon. Das Ehepaar Zock, er so dünn, sie so rund wie aus einem Kinderbuch, Herzers, er so vornehm und sie so nervös, Iris Steinert, in irisierendem Stoff bestimmt wegen ihres Namens, die sich um ihren Boris schlängelte und so entzückend dabei schielte, der gemütliche Metzger und der Fotograf Jörg Finnland, damals noch linkischer als jetzt, er war ja ziemlich neu. Nur mich kannten sie nicht, mich in meiner Ecke und unser Haus, das ein bißchen vierschrötig, aber stattlich am westlichen Gehölzrand steht, das auch nicht. Ich wußte gar nicht, wie ich meine Sabine unauffällig vorher beruhigen sollte. Zwischendurch, wenn sie bei ihren Vorbereitungen dachte, ich sähe es nicht, tanzte sie auf ihre schwerfällige Art leise summend mit sich selbst. Das überraschte mich. Meine Sabine! Das liebe, trostlose Bärchen! Allerdings hätte ich mir eher die Zungenspitze abgebissen, als mich dazu zu äußern.
Was anschließend in den nächsten Stunden vor sich ging, machte mich ganz baff. Sie befanden sich ja alle längst im Erwachsenenalter. Selbst der blutjunge Mann, den die Galeristin mitbrachte, war doch schon volljährig.
In der Nacht aber dachte ich endlich nicht mehr daran, wie lange ich wohl noch zu leben hätte. Ein Wunder, größer als ein Riesenrad. Wie lange ich noch zu leben hätte, war mir egal, weil ich zitterte. Ich zitterte damals, vor einem Jahr, wie die Oberflächen der vielen Tümpel zwischen dem Todholz, besonders, wenn es viel geregnet hat. Zitternde Gewässer, die Hans vertraglich bewilligt wurden, damit er sie nie wieder hergeben muß. Ich könnte meine Tage damit zubringen, sie anzusehen, bis mir die Augen zufallen.
Schon am Nachmittag war ständig telefoniert worden. Es ging immer:
»Ich hoffe, aber ich weiß nicht.«
»Ich bin sicher, aber darf man das bei ihm jemals sein?«
»O nein, nun etwa doch?«
»Ach, immer im letzten Moment!«
»Ach, immer bis zum letzten Moment!«
»Gott sei Dank! Ich verlasse mich darauf!«
»Ach ja? Endgültig?«
»Nun doch nicht? Ach so, nun doch?«
Ich hörte nur Sabines Antworten und sah ihren wechselnden Gesichtsausdruck. »Man weiß nie«, sagte sie schließlich, um sich Luft zu machen, dann am Ende zu mir, »ob Herr Scheffer, auf den wir uns alle freuen, erscheinen wird.«
»Hat er so viel zu tun?« fragte ich, durch all diese Umstände andächtig geworden.
Sabine war meine Frage bereits zuviel. Obschon es sonst fast ein bißchen zu geduldig ist, das schwermütige Kind. Aber dann antwortete sie, mehr sich selbst als mir, mit einem ungewohnt listigen Mund: »Niemand weiß es. Man vermutet und rätselt bis zum Schluß.«
Eine innere Stimme, ein sechster Sinn, der mein bester Freund ist, riet mir, mich lieber nicht zu erkundigen, warum sie Herrn Scheffer nicht selbst direkt anriefe. Die Luft war inzwischen derart verzaubert, daß ich diese naheliegende Frage als taktlos empfunden hätte. Aber ich begriff wenigstens, daß die Unruhe meiner Kleinen nicht dem gedeckten Tisch oder der Suppe galt, sondern der unumschränkten Hauptperson.
Auf einmal sagte sie zornig, als ich sie versehentlich etwas zu nachdenklich beobachtete: »Mir selbst ist es nicht wichtig. Aber das Gelingen des Abends, der zum ersten Mal in unseren vier Wänden stattfindet, hängt von diesem besonderen Gast ab. Das ist allen bekannt. Man sollte das Treffen, wenn man vorher weiß, daß er nicht kommen wird, gleich lassen.«
Und dann das Verblüffendste: »Das ist allerdings noch nie geschehen. Bisher ist er immer dabeigewesen. Nur kann es jederzeit schiefgehen«. Sie sagte tatsächlich: »Bisher hat es zu guter Letzt immer geklappt, nur sicher ist es vorher nie.« Wie sollte ichda meine liebe gramvolle Kleine, die schon wieder die Mundwinkel hängenließ, beschwichtigen?
Daß der Fotograf durch einen Unfall beinahe verhindert gewesen wäre und die slawische Ilona des Metzgers, Sprechstundenhilfe beim
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