Gewäsch und Gewimmel - Roman
weg. Es ist nett, daß keiner sie danach fragt. Nur manchmal, manchmal, sie weiß nicht, daß sie sich dann verrät, ist seit einiger Zeit die Kümmernis verflogen, einfach weggeweht. Keiner darf es sehen. Und wer beobachtet sie schon außer mir? In manchen Augenblicken tut es noch ein anderer, auf den es in allem ankommt. Mehr dazu will ich gar nicht erst aussprechen.
Das Mädchen, der Metzger.
Die Jäger! Die Jäger erst kürzlich, im Herbst war’s. Sabine, der höfliche, bis zum Schluß übriggebliebene Fotograf Finnland und ich, wir haben es erlebt, wir allein. Merkwürdig, die zwei umarmten sich manchmal wie zum Scherz, seitdem ihnen Hehes Ilona so vorlaut die Zukunft aus der Hand gelesen hatte. Finnland ist ein hochanständiger Kerl, im Brotberuf kaufmännische Kraft einer Baufirma, ständig in Ost- und Norddeutschland unterwegs, lebt wochentags zwischen Arbeiterbaracken, Betriebsunfällen, Bier, Buletten, Zahlen und transportablen Klos in seiner Bürobude auf riesigen matschigen Arbeitsstellen. Hier, bei den Mooren, erholt er sich. Er liebte den Herrn Hans fast genauso wie der Schlachter, nur hat er es tief verborgen getan, hoffte, er könnte es verbergen, der brave Kerl.
Auf Finnlands Fotos erkenne ich die Landschaft nicht wieder, nicht im Geringsten. Ich hörte notgedrungen, was er zu Sabine an dem bewußten Tag gesagt hat, als ich hinter ihnen ging auf dem schmalen Weg. Geschrien hat er es fast: »Strukturen. Dort die Gitter, die Netze, die Spalten, Löchriges, Geflecktes, nichts als Schwarz und Weiß, Risse, Adern, Verzweigungen, Wirbel, Strudel im beißenden Licht.«
Das wunderte mich, »im beißenden Licht«?
So drückte er sich aus und meinte zu meiner Verblüffung insgesamtdie Fußabdrücke und Traktorspuren, den Schlamm aus verwesenden Blättern, den modrigen Boden, die Kuhfladen und Zäune und die kleinen Wellen auf den Tümpeln. Sabine sagte mir, daß er an diesem Tag besonders gesprächig gewesen sei. Auf seinen Fotos, die er uns ab und zu vorzeigte, gibt es nicht die Pfiffe und Schreie der Vögel und keinen Geruch nach Morast und Heidekraut. Bei ihm ist alles unnachsichtig und messerscharf. So verlangt er es, so tut es dem vom Beruf sicherlich erschöpften, vielleicht sogar bisweilen abgestoßenen Menschen gut. Ich gönne es ihm herzlich, auch wenn mir echte Tannenzapfen, Fliegenpilze und die geborstenen Rinden der Birken mehr zusagen. Der Fotograf sieht nicht das andauernde Fluten zwischen allem hier, das nicht.
Waren wir zu diesem Zeitpunkt nicht sehr betrübt wegen Hehe? Manches behalte ich nicht genau. Mußten wir schon weinen wegen Hehe? Ja. Bekümmerte uns schon der Herr Hans? Ach ja, das sehr. Ich durfte dabeisein und hörte die beiden sprechen, kriegte auch durchaus mit, daß der Fotograf meine Sabine einmal am Zaun, als sie Pferde mit alten Äpfeln fütterten, von hinten auffing und ordentlich an den Hüften zupackte wie ein gesunder Mann, und daß sie beide unbeteiligt lachten, als nähmen sie das überhaupt nicht ernst. Dabei hatte Ilona, die lustige Freundin des Schlachters, verglichen mit Hehe ist sie ja sehr, sehr jung gewesen, beim Handlesen den beiden doch eine Liebschaft miteinander in Aussicht gestellt.
Wann war das? Täusche ich mich? Die Jäger! Kann es wirklich erst vor wenigen Wochen gewesen sein? Etwas außerhalb des Kerngeländes, das unter der Schirmherrschaft von Herrn Hans steht, sahen wir dort, wo es landwirtschaftlich wird, auf einer Wiese eine Schafherde locker hingestreut weiden. Es waren vergrößerte, wollige Gänseblümchen. In der Nähe fuhren kleine grüne Lastwagen, mit Tannenzweigen geschmückt und mit rotbackigen Männern darinnen. Wir beachteten sie nicht, wir dachtennicht über sie nach. Es konnten Forstarbeiter sein, Leute vom Naturschutzamt bei einem fröhlichen Ausflug und Wandertag.
Auf dem Rückweg erkannten wir sie wieder. Da trugen sie über den grünen Anzügen rote Signalwesten, um sich nicht gegenseitig tödlich zu treffen. Die friedlichen Schafe von eben waren nun in einer Ecke quadratisch zusammengedrängt, die Köpfe von einer unsichtbaren Gewalt in eine einzige Richtung gezwungen, zu den Männern hingewandt, die von den beiden Stirnseiten mit gesenkten Gewehren in zwei Treiberketten auf die Mitte der scheinbar vollständig leeren Wiese zuschritten, in der sich aber tief geduckt zum Vergnügen der Jäger eine gewaltige Todesangst ohne Hoffnung auf Entrinnen ausbreitete. Wie wünschte ich mir da vom Himmel, die Männer würden sich
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