Gewäsch und Gewimmel - Roman
täuschen. Dann aber, wobei sie immer weiter zu lächeln versuchte, waren ihre rundlichen Wangen schlagartig naß, überströmt, als wäre die Tränenfeuchtigkeit gar nicht aus den Augen geschossen, sondern aus der Haut gesprungen. Das Bild erinnerte mich an etwas, ich weiß nicht recht, an was, etwas Berühmtes, als sie da erst so entgeistert und dann feierlich trauernd auf das Wesen in ihren Schoß hinuntersah. Niemand, nicht sie, nicht Sabine, nicht ich, hat ein Wort darüber verloren. Das durfte wohl nicht sein. Der Anblick wäre was für Herrn Hans gewesen. Ich frage mich aber, ob er in seiner damaligen Verfassung etwas derartig Schönes ruhig ertragen hätte.
Da, gefrorene, breitgetretene Pferdeäpfel im Schatten. Die Sonne kommt den ganzen Tag nicht dorthin. Der Boden, wie hart und abwehrend! Die Schritte knallen in der Kälte und Trockenheit.Das ist was für meine Ohren, ein Wintergeräusch. Direkt daneben wieder die Lichtflut und grelles Moos auf Baumstämmen, die bald kippen werden. Es wechselt sich heute dauernd ab. Du, meine dicke Jacke, hörst mir zu, Frau Jacke, gutes Ding, du.
Das böse Mädchen, das Herrn Hans später so unglücklich gemacht hat, rührte sich nicht vom Fleck, und jetzt sahen auch wir beide, Sabine und ich, still auf unseren eigenen Schoß, um ihr Zeit zu geben, in der sie sich fassen konnte. Die Katze aber blieb einfach liegen, wie sie gelegen hatte. Sie gähnte. Es sah aus wie das Fauchen, nur war es geräuschlos.
»Wenn der Geschlechtsverkehr ein kleiner Tod ist, dann will ich doch hoffen, daß der große Tod ein Orgasmus mit Pauken, Trompeten und Posaunen ist.« Das war die Sache mit dem Metzger, im April, als Anada hier noch gar nicht aufgetaucht und Hans noch immer nicht von seiner Reise zurück war.
Daß mir ausgerechnet dieser Satz des schnauzbärtigen Schlachters Wilhelm, unseres großzügigen Wurstspenders Wilhelm Hehe mit der Lebenslust zu jeder Jahreszeit, so vollständig im Gedächtnis haftengeblieben ist! Heute morgen, zusammen mit seinem dröhnenden Gelächter, fiel er mir wieder ein. Damals, im Frühling war’s. Hehe hatte uns einen der Abende ohne unseren Herrn Hans in seiner frischen, o doch, man muß sagen, kernigen Art aufgeheitert. Und jeder der Anwesenden dachte bestimmt, dieser nette Tröster würde uns noch lange sicher sein.
Sie saßen um unseren großen Tisch herum. Iris Steinert, die Galeristin mit dem charmanten Silberblick, in ihrem grünen, glänzenden Kleid, bei dem der Ausschnitt, behauptet Sabine, nie aus reinem Zufall verrutscht, diese Iris hatte von einem Bekannten gesprochen, der gelegentlich nachts eindringende, ahnungslose Gäste mit pikant gewürztem Hundefutter bewirtet. Der gute Fleischermeister und Tierfreund Hehe, dessen Würste gerade gegessen wurden, sagte, als alle zu Ende gelacht hatten, das sei strenggenommen kein Spaß. Dann hat er schauerlicheDinge erzählt. In der Gegenwart von Herrn Hans, der duldete so etwas nämlich nicht, wäre das nie passiert. Vielleicht auch nicht, wenn Ilona, Hehes slawische Freundin, auf ihn hätte aufpassen können. Sie fehlte aber an dem Abend wegen Grippe.
Ob sie, Iris, vergessen habe, daß es zu einer gewissen BSE-Krise durch die Verfütterung von Tiermehl an Schlachttiere gekommen sei? So laut, daß sogar ich es in meiner Ecke verstehen konnte, murmelte Iris zu ihrem Freund Boris hin: »BSE! In dieser Runde kommt der uns mit BSE! Geschmacklos, dreifach degoutant, das ausgerechnet hier aufs Tapet zu bringen!« Hehe fuhr unbeirrt fort, auch nach dem Verbot gebe es Fleischfirmen, die illegal Schlachtreste importierten und Tiermehl, beispielsweise aus Deutschland, an Nutztiere verfütterten, es also nicht nur als Hunde-, Katzenfutter und Dünger verarbeiteten. »Wir düngen mit Tieren?« hat Iris da gekichert und sich geschüttelt und gezuckt, vielleicht, weil sie zuviel getrunken hatte. Hehe antwortete, glaube ich, wir alle seien letztlich Dünger, aber die Frau Steinert kicherte und kicherte immer weiter zu ihrem Freund: »Verwilderung der Sitten!« Da hat Hehe in freundlichem Ton von den Tiertransporten, die aus Geldgier quer durch Europa gehen, und von der Kategorie EINS berichtet, deren Reste verbrannt werden: Hirn, Augen, Rückenmark, Kategorie DREI: Knochen mit Muskelfasern, Häute, Ausfuhr nur in Länder mit bilateralen Verträgen, Kategorie ZWEI aber … ach, ich weiß nicht mehr, jedenfalls erzählte er noch Fürchterliches von Sauimitation für die Absamung von Ebern, von Zitzenimitation und
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