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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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gegenseitig totschießen! Aber nein, schon entdeckten wir hinter den Gebüschen die Fahrzeuge mit dem festlichen Tannenschmuck. Es gab dort Eisengestänge auf den Ladeflächen, wo man bereits die ersten Hasen, die noch vor so kurzer Zeit im Gras gesprungen waren, langgestreckt aufgehängt hatte. Die hellen Bäuche zeigten nach außen. Zwei Männer, die Gesichter flammendrot und lachend, die Leiber dampfend wie das Leben selbst, hielten bei der Beute Wache.
    Schnell trat der Fotograf zur Seite, dorthin, wo die alten Entwässerungsgräben sind, und beugte sich vornüber. Auch wenn er diskret sein wollte, so sahen wir doch, daß er sich mehrfach erbrach.
    »In Frankfurt«, sagte da, während wir auf ihn warteten, Sabine im Flüsterton, als sollte es der abwesende Hans nicht hören, »wird für den Flughafen ein Bannwald gerodet. Weil die Stadt verpflichtet ist, die dort lebenden Tiere zu entfernen, hat sie die Wildschweine, das Rotwild und das Muffelwild einfach zusammentreiben und erschießen lassen.« Aus ihrem Mund klingt es viel amtlicher, behördlicher, fast denke ich für mich: unmenschlicher, als wenn es andere erzählen. Sie hat ja ursprünglich Journalistinwerden wollen, war aber zu schüchtern. Frech muß man da sein, ungeniert. Das ist die Voraussetzung.
    Als Finnland wieder zu uns kam, versuchten wir, ohne weitere Worte, ihn tröstend anzulächeln. Zuhause erfuhren wir dann eventuell vom Schicksal Hehes.
    Das ist mir heute beinahe gleichzeitig eingefallen. Die Jäger, das Mädchen, der Metzger. Ich müßte nur stehenbleiben und mich mit Anstrengung darein versenken, dann würde sich das Gemeinsame schon zeigen und was es bedeutet. Aber da, schön im Licht das filzige, wüste Gestrüpp! Noch viel lieber als damals, in der Zeit vor Hans Scheffer, gehe ich hier herum und bin glücklich.
    Damals, vor einem Jahr, fing es an für mich. Es war von vornherein ein besonderer Tag. Herr Hans, den ich an diesem Abend zum ersten Mal in meinem Leben sah, wußte es natürlich, sonst keiner: Der größte und hellste Vollmond des Jahres stand am Himmel. Nur er, Herr Scheffer, hatte es am späten Nachmittag, als es am deutlichsten war, beobachtet. Wir anderen mußten uns bescheiden. Als nämlich die Mondscheibe höher stieg, fiel der Unterschied zu den normalen Vollmonden nicht mehr sehr auf. Niemals in all den zwölf Monaten ist er der Erde näher gekommen als in dieser Nacht. Es gab dann leider auch Wolken. Man erkannte nicht viel vom Fenster aus, aber wir glaubten Herrn Hans alle gern.
    Das hier ist ja sein Reich. Er bestimmt. Hans Scheffer befiehlt, wo ein Tümpel sein soll und wo eine Kiefer stehenbleiben darf. Seitdem ich ihn kenne, ärgere ich mich nicht mehr, daß er unsere Wege überschwemmt und versperrt. Er war lange für mich ein Unsichtbarer gewesen und ein Tyrann. Seit dem Abend damals aber bin ich hier unter seiner Obhut. Ich sehe jetzt, mit seiner Anleitung, ja den Sinn ein.
    Es sollte ihn nicht so schmerzen, daß sich manches in der letzten Zeit gegen seinen Willen geändert hat. Ist es denn nicht herrlich, so oder so? Die gelben Gräser im Frost, die frierendenWasserspiegel, die Schatten von allen Dingen, auch den klammheimlichsten, die Moose auf den Rinden, wie in Brand geraten, und die robusten Pferde, wenn ihre Beine, selbst bei Minusgraden noch, hier draußen ins hohe Kraut übergehen. Und wie man so gerne winzig wird unter dem riesigen Himmelsbogen.
    Eins der Tiere, weiß mit schwarzer Gespenstermaske, hat mir einmal den Kopf entgegengehoben. Hat mich angestarrt, sicher aus beiden Augen, aber ich nahm nur das linke wahr. Die Augäpfel waren schräg eingesetzt und doppelt gefaßt, darüber erkannte ich wie noch nie die dunkel eingeritzten, geschwungenen Linien der Stirnfalten. Während es mich ansah, begann es zu schwitzen, Nässe überzog silbrig das Fell, eigentlich eine Haut, deren Poren sich deutlich zeigten. Unter dem Reif oder Glasfluß, unter dem Glanz des Bronzekopfes konnte es natürlich auch ein anschwellendes Flimmern sein, unter der Glasur festgehalten, damit es nicht ausbrach. Von seinem freundlichen und drohenden Auge wurde die Umgebung eingesogen, statt gespiegelt zu werden. Am erstaunlichsten war, wie die herrliche Mähne im Hinsehen ergraute, als würde das Tier in Sekunden altern. In langen Wellen fiel das Haar über die Stirn, gleißend graumeliert, in Strähnen, wobei die einzelnen Haare scharfe Schatten auf die Wange warfen, die von Tau oder Schweiß feucht war. Ich wußte nicht, was

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