Gewagt - Gewonnen
in Belgien, dann in der Schweiz. Als ich das überstanden hatte, studierte ich Kunstgeschichte in Paris und Gott weiß was in Grenoble – jedenfalls waren es Dinge, für die ich keine rechte Begabung hatte. Schließlich ließ Papa mich nach Hause kommen, weil er meinte, er brauche jemand, der die Pflichten einer Hausfrau und Wirtin übernehmen könne. Ich habe mir dann eine Kaninchenfarm zugelegt, weil ich etwas haben wollte, das mir ganz allein gehört; und außerdem hält diese Betätigung mich zu Hause fest – was ja eben der Zweck meiner Heimkehr war.“
Sie wandte den Kopf, da sie auf einmal Schritte hörte. „Hallo, Papa!“
„Papa“ sah verblüffend jung aus. Er war groß und breitschultrig. Die Familienähnlichkeit war auffallend.
„Nein, Sie sind es? Guten Tag, Herr Mostvedt. Wir haben uns lange nicht gesehen – ich muß wohl sagen: glücklicherweise. Ja, richtig, meine Tochter hat ja ihre eigene Menagerie. Sind die Tiere krank? Aber was sehe ich? Geht der Laden so gut, daß Sie jetzt eine Assistentin haben?“ Mostvedt stellte Astrid vor. „Übrigens ein merkwürdiger Beruf für ein reizendes junges Mädchen…“
„Ja, das kann man wohl sagen“, sagte Mostvedt lächelnd. „Die Sache ist nur die, daß Fräulein Liberg auf dem besten Wege ist, eine so tüchtige Tierärztin zu werden, daß ich von ihr noch etwas lernen kann.“
„Sieh einer an! Haben Sie Tiere gern, kleines Fräulein? Kommen Sie mit mir in den Pferdestall, damit ich Ihr Urteil über meine Tiere höre! Sie können sich dann auch gleich meine Truthühner ansehen - ja doch, Jean…“ Die letzten Worte galten einer riesigen dänischen Dogge, die sich gravitätisch näherte. „Welch prächtiger Hund!“ rief Astrid unwillkürlich.
Jean beachtete Gerda nicht, auch schien er sich für Mostvedt nicht sonderlich zu interessieren. Ja, nicht einmal für Harder. Er blickte nur auf Astrid und beschnupperte sie. Dann richtete er sich auf den Hinterbeinen auf und legte die Vorderpfoten auf ihre Schultern.
„Sie brauchen keine Angst zu haben…“, beeilte Harder sich zu versichern.
Da lachte Mostvedt laut heraus.
„Sie werden Tiere von ganz anderen Dimensionen auffahren müssen, wenn Sie Fräulein Liberg Angst machen wollen, Herr Harder! Verfügen Sie zufälligerweise über eine Riesenschlange? Dann probieren Sie es! Ich zweifle freilich, daß Fräulein Liberg anders auf sie reagieren wird, als daß sie ihr den Kopf tätschelt und ihr irgendeinen Kosenamen gibt.“
Astrid lachte und wurde rot, während sie Jean den mächtigen Kopf streichelte. Er aber fuhr ihr mit seiner breiten Zunge so stürmisch über das Gesicht, daß sie husten und niesen mußte.
Dann besah sie sich in Harders Begleitung den Pferdestall, den Kuhstall und den Geflügelhof. Jean folgte ihr getreu auf den Fersen.
Sie sprach nicht viel, aber sie stellte ein paar Fragen, aus denen Harder ersehen konnte, daß sie sich auf Tiere und Tierpflege verstand; und er antwortete bereitwillig. Das stille und bescheidene junge Mädchen, das ihm so aufmerksam zuhörte, gefiel ihm. Es war etwas Weiches an dem kleinen Fräulein Liberg, etwas so ganz Weibliches, das er bei seiner tüchtigen und robusten Tochter vermißte.
Als Harder und Astrid nach beendetem Rundgang in die Walle traten, fanden sie Mostvedt und Gerda vor dem großen Kamin sitzend.
„Es ist spät geworden“, sagte Mostvedt. „Wir sollten jetzt wohl…“
„Noch nicht jetzt gleich“, unterbrach ihn Fräulein Harder. „Sie müssen erst mit uns Tee trinken.“
Es wurde recht gemütlich. Astrid war für das schöne, luxuriöse Milieu sehr empfänglich. Das Speisezimmer war hoch und sehr geräumig – wie übrigens alle Zimmer des Hauses. Das großzügige Schalten mit dem Raum, das einem hier überall auffiel, stand in scharfem Gegensatz zu dem Platzmangel moderner Wohnhäuser.
Harder war aufgeräumt und liebenswürdig. Er machte einen erstaunlich jugendlichen Eindruck, obwohl er doch nicht mehr weit bis zu den Fünfzig haben konnte. Seine Tochter hatte erwähnt, daß sie zweiundzwanzig Jahre alt sei.
Mostvedt und Astrid blieben bis zum Abendessen, und hinterher tranken sie noch alle eine Tasse Kaffee vor dem Kamin. Harder zeigte Astrid Bilder von seinen Jagdpartien, und sie folgte unterdes mit halbem Ohr dem Gespräch, das Mostvedt mit Gerda führte. Gerda erzählte von Paris und von der Schweiz. Mostvedt kannte Paris ebenfalls: sie waren in denselben Theatern, denselben Museen, denselben Cafés
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