Gewagt - Gewonnen
vor ein paar Tagen – noch bevor sie erzählt hatte, daß sie wieder mit zu Harders fahren sollte – hatte Frau Liberg gesagt:
„Weißt du, Astrid, wir haben gerade ein paar ganz besonders hübsche Herbstkostüme hereinbekommen. Komm doch morgen ins Geschäft. Es könnte gut sein, daß ich dir ein neues Kostüm schenke.“
Noch nie hatte Astrid auf das Aussuchen eines neuen Kleidungsstückes so viel Mühe verwandt. Schließlich entschied sie sich für ein erikafarbenes Kostüm mit weichen, typisch weiblichen Linien. Alle strengen und betont sachlichen Modelle lehnte sie auf der Stelle ab. Das heidekrautfarbene Kostüm, mit einem kleinen weichen Filzhut und einer Lederblume im Jackenaufschlag, gefiel ihr am besten.
Sie schloß die Mutter in ihre Arme und drückte sie einen Augenblick fest an sich. Dann verließ sie glückstrahlend das Geschäft mit der großen Pappschachtel unter dem Arm. Sie wußte nicht, daß die Mutter ihr mit blanken Augen nachschaute.
Die kleine Astrid! Theater spielen hatte sie nie gekonnt. Ihre Jugend und Unerfahrenheit und ihre unbedingte Gutgläubigkeit und Vertrauensseligkeit hatten sich aber noch nie so deutlich offenbart wie jetzt. Frau Liberg lächelte. Astrid hatte von Gerda Harder erzählt und sie himmelhoch gepriesen. Fräulein Harder war so wunderschön und so tüchtig und so schneidig in dem schicken Overall, und Fräulein Harder konnte alles, und Fräulein Harder wußte alles.
„Ja, ja“, dachte Frau Liberg. „So überschwenglich lobt ein junges Mädchen nur die Frau, auf die sie maßlos eifersüchtig ist.“
Frau Liberg war eine verständige und aufgeweckte Dame. Eine gute Psychologin war sie auch. Man wird zu einer Psychologin, wenn man fast ein Menschenalter lang Kleider an Frauen verkauft hat: an junge und alte, frohe und betrübte, verliebte und glückliche und enttäuschte Frauen. Frau Liberg konnte es einer Kundin fast auf den ersten Blick ansehen, ob sie ein Kleid haben wollte, um den Geliebten zu betören, den Verlorenen oder Unbeständigen zurückzugewinnen, ihr eigenes Selbstvertrauen zu kräftigen oder sich in einer Periode der Niedergeschlagenheit zu trösten.
Und Frau Liberg wußte auf der Stelle, weshalb Astrid das jugendlichste und weiblichste und reizendste Kostüm wählte, das sie finden konnte, während sie alles Grelle und Aufdringliche ablehnte.
Frau Liberg war glücklich. Per Mostvedt war ein tüchtiger und liebenswürdiger Mann in einer guten Stellung. Sein Ansehen in der Stadt festigte sich immer mehr. Sie würde sicher nichts dagegen einzuwenden haben, wenn aus der Sache zwischen ihm und Astrid etwas werden sollte.
Und nun diese Eifersucht auf Fräulein Harder. Du lieber Gott! Mostvedt war doch nur in seiner Eigenschaft als Tierarzt draußen auf dem Gut gewesen. Die kleine Astrid hatte sicherlich keinen Grund zur Besorgnis. Der steinreiche Gutsherr aus der alten, vornehmen Familie hatte ohne Zweifel mit seiner Tochter etwas anderes im Sinn, als sie an einen gewöhnlichen Tierarzt aus einer völlig uninteressanten und unbedeutenden Familie zu verheiraten.
Ja, Frau Liberg war glücklich. Sie hatte sich aufrichtige Sorgen um ihre Tochter gemacht. Um so mehr erfreute es ihr Herz, ihr Kind jetzt so fröhlich, so für ihre Arbeit interessiert und - bis über die Ohren verliebt zu sehen.
Mostvedt bemerkte das neue Kostüm. Er gratulierte Astrid. „Es steht Ihnen fabelhaft“, sagte er. „Ich muß schon sagen: Sie haben einen guten Geschmack.“
Astrid errötete und war selig.
In der vergangenen Woche hatte sie den Tierarzt dreimal auf seinen Krankenbesuchen begleitet. Einmal zu einem Pferd, das sich das Bein an einem Stacheldrahtzaun aufgerissen hatte. Einmal zu einem Hund, der sich die Hüftknochen ausgerenkt hatte. Und einmal zu einer sehr wertvollen Angorakatze, die Junge werfen sollte und tierärztlicher Hilfe bedurfte.
„Es ist sehr viel angenehmer, wenn der Besitzer eines Tieres bei der Behandlung nicht zugegen sein braucht“, erklärte Mostvedt. „Läßt es sich nicht vermeiden, daß dem Tier Schmerzen zugefügt werden müssen, dann ist es immer besser, es geschieht ihm von Fremden, damit es nicht das Vertrauen zu seinem Herrn verliert. Außerdem sind die Besitzer oft nervös und unglücklich und schaden mehr, als sie nützen.“
Astrid arbeitete gern mit Mostvedt zusammen. Nichts wurde ekelhaft, nichts unästhetisch. Dies war Berufsarbeit, und sehr interessante Berufsarbeit obendrein. Die tiefe Befriedigung die Astrid jedesmal
Weitere Kostenlose Bücher