Gewagt - Gewonnen
ein wenig vor all den Pflichttänzen mit deinen alten, dicken Freunden, Papa. Ich rechne stark damit, daß Herr Mostvedt sich recht oft meiner erbarmt.“
Harder senkte den Blick auf Astrids dunkelblonden Kopf. „Sie sind über meine ungezogene Tochter sehr erschrocken, Fräulein Liberg?“
Sie blickte zu ihm auf und lächelte.
„Aber nein. Ich finde es sehr lustig, daß es Menschen gibt, die so sein können… ich meine: so…“ Sie fand nicht den richtigen Ausdruck.
„Hemmungslos, meinen Sie?“
„Ja…“
„Sie selbst sind wohl eher etwas… schüchtern?“
„Manchmal ja…“
„Kommen Sie! Wir wollen uns hinsetzen.“
Harder führte sie zu einem Sessel vor dem Kamin. Er selber ließ sich auf einem Polster zu ihren Füßen nieder.
„Hören Sie auf einen alten Mann, der einige Lebenserfahrungen besitzt, Fräulein Liberg. Sie dürfen keine Minderwertigkeitsgefühle aufkommen lassen. Dazu haben Sie keinerlei Veranlassung. Ich kann es verstehen, daß ein junges Mädchen von Gerdas Kraftnatur eingeschüchtert wird und sich in ihrer Gegenwart klein vorkommt. Aber Sie dürfen nicht vergessen, daß Sie ebenfalls Ihre Vorzüge haben, und, wer weiß, vielleicht erweisen diese sich auf die Dauer als beständiger denn die meiner etwas robusten Tochter.“
Er beugte sich nieder und legte einen neuen Holzklotz auf das Feuer.
„Ich… ich komme mir so dumm vor“, sagte Astrid. „Fräulein Gerda kann alles, und ich… ich kann nichts.“
Harder wandte den Kopf nach ihr herum und lächelte, bevor er erwiderte:
„Sie kleines Dummchen! Wenn Sie nichts könnten, dann würde Mostvedt Sie bestimmt nicht gebrauchen können. Außerdem sollten Sie sich eins merken: Es kommt überhaupt nicht so sehr darauf an, daß man etwas kann, als vielmehr darauf, daß man etwas ist!“
„Aber ich bin ja nichts.“
„Sie sind eine ganz kleine Flasche Nervenmedizin“, sagte Harder. „Woher, glauben Sie, kommt es wohl, daß unser unnahbarer Jean Sie liebt? Von Ihnen geht etwas Ruhiges, Gütiges aus. Deshalb können die Tiere Sie leiden – und die Menschen übrigens auch, sofern sie nur ein ganz klein wenig Verstand haben.“
Astrid schwieg. Harder brauchte ziemlich viel Zeit, bis er den Holzklotz endlich in die richtige Lage gebracht hatte. Dann setzte er sich auf einen Stuhl und wischte die Hände an seinem Taschentuch ab.
„Vielleicht“, sagte er langsam, „vielleicht muß man ein gewisses Alter erreicht und gewisse Erfahrungen gemacht haben, um richtig verstehen zu können…“
„Um was verstehen zu können?“ fragte Astrid.
Harder blickte sie an und lächelte.
„Jean“, antwortete er.
„Wie ist das?“ fragte Mostvedt, als sie aufbrachen. „Was zieht man am Samstag an?“
„Gala natürlich“, lachte Gerda. „Frack mit weißer Weste und so weiter. Wer welchen hat, legt seinen Christbaumschmuck an. Wenn schon – denn schon!“
Eine Symphonie in Blau
„Bist du nicht ein Glückspilz, Astrid?“ sagte Frau Liberg. Harder und die Kaninchen und das Auto und Jean und die Gesellschaft am Samstag – alles hatte Astrid kunterbunt kurzatmig berichtet. Die Mutter betrachtete lächelnd ihr kleines Mädchen.
„Und Gala am nächsten Samstag?“ fuhr Frau Liberg fort. „Also ein neues Kleid!“
„Ja, das muß ich haben“, sagte Astrid. „Aber diesmal bezahle ich es selbst.“
Sie ging nach Geschäftsschluß in den Modesalon, und die Mutter geizte nicht mit ihrer Zeit.
Astrid starrte lange auf ein Wunderwerk aus smaragdgrünem Moiré mit eingewebten Goldfäden.
„Nein, mein Kind“, sagte Frau Liberg. „Das ist nichts für deinen Typ. Sieh selbst!“
Sie schob ihre Tochter vor den Spiegel.
„Nun nimm an, was du da im Spiegel siehst, wärest nicht du, sondern es wäre ein fremdes Mädchen, das ein Abendkleid haben möchte. Studiere ihren Typ. Was, meinst du, paßt für das junge Mädchen dort?“
Astrid war durchaus nicht umsonst die Tochter ihrer Mutter. Sie hatte einen guten Geschmack, wenn sie ihn zu Worte kommen ließ.
„Etwas Einfaches und Helles“, sagte sie.
„Richtig. Und ein leichter Stoff. Mit anderen Worten: nichts enges. Etwas jugendlich Schäumendes. Nun wollen wir sehen.“
Schließlich wurden sie sich einig. Das Kleid war aus Taft, hellblau, fast Wasserfarben, mit entzückenden kleinen Ärmeln, herzförmigem Ausschnitt, sehr weitem Rock.
„Warte noch!“ sagte Frau Liberg. Mit geübten Händen und sicherem Blick befestigte sie einen kleinen Mandelblütenzweig auf
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