Gewagt - Gewonnen
nun nicht mehr zurück. Nachdem sie eine Tasse extrastarken Kaffee getrunken hatten, schlug Harder vor, ins Kino zu gehen. Es lief gerade ein guter und interessanter Film.
Als Astrid nach Hause gebracht worden war – sie hatte in der Taxe wohlgeborgen neben Harder gesessen, der seinen Arm um ihre Schultern gelegt hatte –, kroch sie sofort ins Bett und lag trotz ihrer Müdigkeit noch eine Weile wach. Sie starrte in die Dunkelheit und lächelte.
Das Gespräch mit Harder hatte ihrem Schmerz den Stachel genommen. Es tat nun wirklich nicht mehr weh. Ihre Gedanken kreisten nicht länger um Per. Sie wanderten jetzt in die Zukunft. Sie dachte an ihre Trimmanstalt, an ihre selbständige Arbeit und an alle Möglichkeiten, die sich daraus ergaben.
Und morgen war wieder ein Tag voller Arbeit mit allerliebsten kleinen Hündchen und gefährlichen großen Tieren, wieder der interessante Unterricht. Wieder würde der Lehrer von Tisch zu Tisch gehen, und vielleicht würde er wieder sagen:
„Mehr viereckig der Schnitt auf dem Kopf, Frau Verner – hier muß kräftig abgeschnitten werden – nein, für den Kopf müssen Sie nicht die Schere benutzen – nehmen Sie das Trimmesser – achten Sie auf Fräulein Liberg…“
Ein kühler Quell
Als Astrid am nächsten Tage zum Mittagessen in die Pension kam, begrüßte die Wirtin, Frau Nielsen, sie an der Wohnungstür.
„Es wurde ein Blumenstrauß für Sie abgegeben, Fräulein Liberg“, sagte sie. „Ich habe mir erlaubt, das Papier zu entfernen und die Blumen ins Wasser zu stellen. Es wäre ja schade, wenn sie welk würden.“
Frau Nielsen verging fast vor schlecht verhohlener Neugierde. Sie stellte mit stiller Freude fest, daß Astrid rot wurde. Die Wirtin verfolgte mit lebhaftem Interesse das Wohl und Wehe ihrer Pensionäre. Daß das kleine, stille und bescheidene Fräulein Liberg Blumen bekam, wirkte wie eine Sensation. Und was für herrliche Blumen! Die ganze Pension hatte sie in Augenschein genommen, und man hatte allerlei Vermutungen angestellt. Die kräftige, steile Schrift auf dem Briefumschlag war studiert und erörtert worden, und Frau Nielsen dachte daran, daß Fräulein Liberg gestern erst sehr spät nach Hause gekommen war.
Alles deutete daraufhin, daß man eine Sensation zu erwarten hatte, und jede Sensation wurde in der Pension mit Freuden willkommen geheißen.
Astrid schloß sich in ihrem Zimmer ein. Sie blieb am Tisch stehen und betrachtete den Blumenstrauß. Ein Springquell von langstieligen blaßgelben Rosen. Welch reine, unaufdringliche Farbe! Kühl, ohne kalt zu sein. Etwas Helles und Keusches und unfaßbar Schönes.
Sie riß den Umschlag auf.
„Liebe kleine Astrid!
Ich weiß nicht, weshalb diese Blumen mich so an Sie erinnern. Ich sah sie in einem Schaufenster, und ich muß sie Ihnen unbedingt schicken. Haben Sie Dank für den gestrigen Tag! Ob ich Sie noch einmal zu sehen bekomme?
Ihr Eivind Harder.“
Astrid setzte sich auf einen Stuhl und betrachtete eine Weile still die köstlichen Blumen. Dann las sie den Brief noch einmal. Und wieder mußte sie an jenen Abend auf Harders Gut denken, da er, nachdenklich in das Feuer des Kamins blickend, gesagt hatte, man müsse wohl ein gewisses Alter erreicht haben, um Jean verstehen zu können.
Ob das die Erklärung dafür war, daß sie sich früher nie richtig Geltung hatte verschaffen können? Ihren Altersgenossinnen gegenüber hatte sie stets Minderwertigkeitsgefühle gehabt. In Harders Nähe dagegen war sie ausgeglichen, gab sich natürlich und brauchte sich nicht anzustrengen, um unterhaltend oder geistreich zu sein. Harder wollte sie nicht anders haben, als sie war.
Plötzlich mußte Astrid an seine Hände denken. Es war etwas Behutsames, etwas Beschützendes an diesen Händen. Es waren Hände, die tragen, helfen, Schwierigkeiten aus dem Wege räumen wollten. Hände, die… die liebkosen konnten. Sie mußte sich ja für die Blumen bedanken. Selbstverständlich mußte sie sich bedanken. Sie mußte anrufen. Oder lieber schreiben? Nein. Eine schriftliche Danksagung wäre zu feierlich gewesen.
Astrid wußte, daß die halbe Pension interessiert lauschen würde, wenn sie auf dem Korridor telefonierte.
Sie ging zur nächsten öffentlichen Fernsprechzelle und rief mit klopfendem Herzen im Grandhotel an, wo Harder Wohnung genommen hatte.
Ja. Herr Gutsbesitzer Harder war in seinem Zimmer. Einen Augenblick, bitte! Wen dürfe man melden?
Harders Stimme hatte einen warmen Klang, und er sprach
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