Gewagt - Gewonnen
immerzu, daß ich an die Zukunft denken muß, nicht an das Vergangene; denn die Welt geht ja nun einmal weiter. Findest Du nicht, daß ich sehr verständig geworden bin?
Ja, Mutti. In einem Monat werde ich also mit dem Kursus fertig. Und ich zerbreche mir den Kopf darüber, wie ich mich einrichten soll, wenn ich nach Hause komme. Ich habe eine sehr feine Idee, fürchte jedoch, die Sache wird zu teuer. Aber ich kann Dir ja trotzdem erzählen, wie ich es mir gedacht habe, nicht wahr?
Zunächst einmal möchte ich ein hübsches Schild mit meinem Namen und dem Wort „Trimmanstalt“ an der Kellertür anbringen, also an der Tür, die vom Garten in den Geräteraum führt. Und den Geräteraum möchte ich weiß tünchen und als Arbeitsraum einrichten. Unmittelbar vor dem Fenster möchte ich einen Auslauf mit Drahtnetz anbringen, damit ich die Hunde nur aus dem Fenster zu lassen brauche, wenn ich sie an die Luft bringen möchte. Dann möchte ich einen Teil des Waschkellers durch eine Holzwand abtrennen und da ein Hundebad einrichten. Ich müßte haben: einen elektrischen Warmwasserspeicher, einen geräumigen Waschbottich und ein paar Kleinigkeiten – unter anderem eine Handdusche. Wenn es im Winter zu kalt wird, müßte ich einen kleinen Ofen haben, einen elektrischen. Mehr brauchte ich nicht. Die Möbel, die ich benötigen würde – einen Tisch, einen Stuhl für die Kunden, die auf ihre Hunde warten, einen Schrank, den Arbeitstisch –, könnten aus gewöhnlichem Kiefernholz sein. Ich kann sie selber mit bunten Farben streichen.
Glaubst Du, das würde schrecklich teuer werden? Ich will Dich nicht anbetteln, Mutti, aber könntest Du mir das Geld dazu borgen? Ich bin sicher, daß ich gut verdiene und es sehr schnell zurückzahlen kann.
Ich bin gesund und schlafe gut. Und sonst wüßte ich Dir nichts zu berichten.
Bleibe gesund, mein Muttchen. Grüße Hein und schreibe bald!
Deine Astrid
Frau Liberg legte den Brief vor sich auf den Tisch und blieb noch eine Weile sitzen. Sie lächelte. Dann ging sie ans Telefon und rief einen Tischler und einen Installateur an.
Eine Woche später war Astrids Arbeitsstätte fertig. Nur das Türschild fehlte noch. Aber das sollte angebracht werden, sobald Astrid nach Hause kam.
Borgen, hatte Astrid gesagt. Davon konnte nicht die Rede sein. Die Einrichtung war Frau Libergs Geschenk für die kleine Astrid. Für ihr tapferes Kind.
Astrid schlug den Mantelkragen hoch und kämpfte gegen den Regen an. Ihre Arme waren müde, die Hände taten ihr weh. Sie hatte sich den ganzen Nachmittag mit einem ungewöhnlich großen Riesenschnauzer herumgeplagt. Jetzt hatte sie einen wahren Wolfshunger. Leider würde sie sich mit halbwarmem Essen begnügen müssen, denn die Essenszeit in der Pension war vorbei.
Sie tauchte aus dem Umhangkragen auf. Ein hochgewachsener Mann stand mit ausgestreckter Hand vor ihr.
„Wahrhaftig! – Ist das nicht Fräulein Astrid?“
Astrid wurde bleich. Sie fühlte, daß ihre Wangen kalt wurden. Sie reichte ihm langsam die Hand.
„Guten Tag, Herr Harder. Das… ist eine Überraschung.“
Er nahm ihre Hand in seine beiden Hände.
„Ja, es scheint meine und meiner Familie Bestimmung zu sein, Ihnen Überraschungen zu bereiten, kleines Fräulein Astrid. Wie geht es Ihnen? Und was machen Sie hier in Oslo?“
„Ich nehme an einem Trimmkursus teil. Ich gedenke, eine eigene Hundetrimmanstalt zu eröffnen, wenn ich wieder zu Hause bin.“
„Wirklich? Welch blendender Einfall! Rolf Heier wird Ihr bester Kunde. Er beklagt sich oft, daß er seine Lieblinge immer nach Oslo schicken muß. – Kommen Sie mit mir, Fräulein Astrid! Ich bin gerade im Begriff, irgendwo zu Abend zu essen, und ich brauche Gesellschaft. Sagen Sie nicht, Sie hätten schon zu Abend gegessen, denn dann wäre ich gräßlich enttäuscht.“
Astrid lächelte.
„Im Gegenteil! Ich bin ganz ausgehungert!“
„Großartig!“ rief Harder begeistert. „Das soll ein Abendessen werden, das sich sehen lassen kann! Und ich werde selbst bestimmen, was gegessen wird. Ich habe nicht die Absicht, Sie nach Ihrer Meinung zu fragen!“
Sie gingen in kein Restaurant mit Musik und Lärm und vielen Menschen, sondern in ein kleines, in einem stillen Winkel gelegenes Schlemmerlokal, das Astrid noch nicht kannte.
„Sie müssen wissen, daß dies mein Stammlokal ist, wenn ich mich in Oslo aufhalte. Ich garantiere Ihnen, daß wir hier das beste Essen bekommen, das in dieser Stadt zu haben ist. Sehen Sie sich die Gäste
Weitere Kostenlose Bücher