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Gewalten

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Titel: Gewalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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verschoben, klaffende Risse brechen auf in den Fundamenten der Stadt L. Ein österreichischer Getränke-Milliardär und seine rot-lila Bullen haben sich eine Festung gebaut vor den Toren der Stadt, und sein Syndikat konstruiert wie bei Jules Verne gewaltige stählerne Flügel an das ganze Areal eines Kleinstadtclubs in der Kleinstadt Markranstädt, die mehr ein Vorort ist, die spielen auch 5 . Liga im Moment, aber weiter und weiter hinauf soll es gehen, RB Leipzig (verleiht Flügel), die Zukunft, RoBur der Herr der Welt?, oder ein neuer Albtraum?, flügelbrechend stürzt das
Ding
wie ein kaputter Aasvogel auf die brennende Stadt, oder ein Traum für die, die müde sind von den Grenzkriegen in der Provinz L? Was soll uns das kümmern, hier und heute, FC Lokomotive Leipzig gegen FC Sachsen Leipzig (nein umgedreht, denn es ist ja
unser
Heimspiel, obwohl nicht in unserer, sondern neutraler Festung, weil die brüchigen Fundamente dort die 15   000 nicht tragen), aber es ist ein endloses Klagelied, Gevatter Bach, J.S., der unter der Thomaskirche wohnt, lässt mit seinen dünnen Fingern einen Abschiedschoral durch die silbernen Orgelpfeifen und die ganze Stadt wehen, begleitet vom tausendstimmigen Thomanerchor der letzten dreihundert Jahre, dass die Fenster in allen Häusern klirren, denn wer einfach nur Fußball sehen will, der muss weg aus der Stadt L, den neuen Bundesländern, den ostdeutschen Provinzen, lange Wagentrecks voller Fußballneusiedler brechen auf Richtung Wittenberge, dort gibt es eine Furt über die Elbe, Grenzfluss zwischen Ost und West. »Nur ein Leutzscher ist ein Deutzscher!«
    »El-Oh-Ka! El-Oh-Ka! (Festung Probstheida, Leipzig Südost / Festung Leutzsch, Leipzig West, und keine Furt, und kein Grenzfluss ...)
    Und im ZENTRALSTADION , weiter 0 : 0 ,
die Entscheidung lief auf ein Rechenexempel hinaus: Wer eine größere Anzahl von Quadratmetern mit der größeren Geschossmenge überschütten konnte, hielt den Sieg in der Faust
(In den
Stahlgewittern,
glaube ich, das Bild hat sich mir eingebrannt, galoppiert ein weißes Pferd durch eine Trümmerlandschaft), und wir hinter dem einem Tor, ein Teil noch in der Kurve und auf der Geraden links von uns, dort sind auch die zersprungenen Glasfenster des Presseraums und der VIPs, direkt unterm Tribünendach; die anderen blau-dicht-gelb gedrängt hinter dem Tor gegenüber und auf der rechten Gegengeraden, so viel Raum dazwischen, auf dem unsere Mannschaft, unsere Kämpfer anrennen gegen die verrammelte Kesselluke der Lok, ein Treffer nur, und die ganze Dampfmaschine explodiert! »Nun mach ihn doch rein! Zieh, zieh! Geh doch, geh, geh, geh!«
    Und da geht einer, zweite Halbzeit nun schon, Seitenwechsel, immer noch 0 : 0 , und unser Tormann direkt unter uns, da bricht einer in die Pufferzone, in den Todesstreifen zwischen den Blöcken, klettert über einen Zaun, rennt brüllend zwischen den leeren Sitzreihen entlang, ein wahnsinnig gewordener Lokist, zu viel Dämpfe aus dem Schornstein, vor sich die Polizeikette, die dort postiert ist, brüllt mit verzerrtem Gesicht, mit den Armen fuchtelnd, die Finger weit auseinander gespreizt, brüllt, dass ich seinen Atem und seine Spucke zweihundert Meter weiter auf meinem Gesicht spüre, aber ein Windhauch doch bloß, der Mann so allein (Ein Mann alleine hat keine verdammte Chance nicht!, schreibt Hemingway), und besonders kräftig sieht er auch nicht aus unter seinem T-Shirt. Aber er springt über die Sitzreihen, hoch und weit springt er dabei, und es scheint, er würde kurz in der Luft
stehen, die Knie gewinkelt, bevor er wieder, in Sekundenbruchteilen, den Betonboden zwischen den Sitzschalen kontaktiert; bei uns hängen sie auch schon am Zaun, dicht gedrängt, übereinander und ineinander verkeilt, und brüllen ihm entgegen, nur einen kurzen Augenblick ist er gelöst von den Rotten, zwischen den Räumen allein, wie das weiße Pferd gestern in Halle, das durch die Startbox brach, aber schon kommen sie, um es einzufangen. Ein paar Polizisten bewegen sich von oben auf ihn zu, ein paar von vorne, das Spiel läuft weiter auf dem Rasen, 0 : 0 , da ist einer bei dem jungen Mann, gepanzert der Gegner, hält was in der Hand, packt ihn an den Schultern, Zweikampf kurz vorm Ziel, und wir sitzen auf der Tribüne, nein, stehen jetzt im Fieber, und dicht auf die beiden,
Leopardo
,
El Okowango
, ein feiner Nebel um den Mann herum, Pfefferspray, in rauen Mengen, wie es scheint, und die nächsten kommen von vorne, besprühen ihn, packen

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