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Gewalten

Gewalten

Titel: Gewalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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ihn, als wäre er der HULK persönlich, dessen Körper, dessen Muskeln anschwellen, dass seine Kleidung zerfetzt (und etwas
Seltsames
rührt sich da in meinem Kopf, als hätte ich genau dieses Bild, Hulks grüner Körper, Mann zwischen den Blöcken, schon einmal auf der Netzhaut meiner Phantasie gehabt, zwischen Traum und Realität, als würden wir ewig die Zeitschienen rauf und runter fahren), und dann liegt er auf der Treppe, die Hände mit Kabelbindern auf dem Rücken fixiert, ja, mein Junge, so ist das, wenn man sich nicht unter Kontrolle hat. Und weg ist er.
    »Auf geht’s, Leutzscher Jungs, auf geht’s, Leutzscher Jungs, schießt ein Tor für uns, schießt ein Tor für uns ...«
    Und keine Tore im weiten Rund, 0 : 0 , aber auch keine U-Bahn (Gedankensprünge!, die gefiederte Schlange züngelt durch mein Hirn), aber die fährt schon eine ganze
Weile nicht mehr. Und froh sind wir drüber, dass keine U-Bahn mehr fährt, obwohl ein U-Bahn-Tunnel, drei Stationen, Hauptbahnhof, Marktplatz, Bayerischer Bahnhof, unter unserer Stadt gegraben wird, ein Wahnsinnsprojekt, ein Schildbürgerstreich für fast eine Milliarde, der, da bin ich mir sicher, den Untergrund aufbrechen lassen wird irgendwann, dass die halbe Stadt donnernd in die Tiefe sinkt, aber die U-Bahn, die ich meine, fuhr bis Auschwitz.
    »Eine U-Bahn, eine U-Bahn, eine U-Bahn bauen wir, von Leutzsch bis nach Auschwitz, eine U-Bahn bauen wir!« Himmelarsch, wenn auf dem Rasen nichts los ist, wie oft hab ich dieses Lied gehört (das Spiel plätschert vor sich hin, nur paar Minuten noch, eine kurze Unterbrechung gab es wegen paar Feuerwerkskörpern, es wurde sofort gedroht abzubrechen, als würden die Marmorklippen brennen)! Und dunkel in meinen Erinnerungen ist auch eine andere Strecke, von Probstheida bis nach Auschwitz, aber diese Gesänge gibt es nicht mehr, Grün-Weiß, auf zu neuen Ufern!, Mitte/Ende der Neunziger, daran denk ich nicht gern, denn wir, Chemie, sind die Guten! »Berlin, Berlin, Juden Berlin!« Ja, hoi (Oi, oi, oi, jammern die Seelen der Vergasten), was ist denn da los, Ostfußball at its best! Aber auch das ist verstummt seit Jahren schon im altehrwürdigen Alfred-Kunze-Sportpark (genau wie der Evergreen, rein aus dokumentarischen Gründen angeführt: »Wenn das der Führer wüsst’ / was Chemie Leipzig ist / dann wär’ er nur in Leutzsch / denn Leutzsch ist deutsch!«), und heute, Zentralstadion, 23 .August 2009 , sowieso nicht mehr zu hören, blau-gelb ist der Abschaum dieser Stadt, Nazis, Schläger, Hooligangs, da wird auch schon mal ein menschliches Hakenkreuz gebildet auf den Traversen, da könnt ich schwören, dass es dieses Pack heut noch krachen lässt!
    Und wir stehen auf dem großen Steinbalkon. Dreiecksformationen rammen in die Geraden. Was verdammt nochmal ist hier los? Pferdestaffel, Sixpacks fahren im Kreis wie eine Wagenburg, L-O-K zeigt sein schmutziges Gesicht. Wenn ich nur reich wäre und wenn jedes Wochenende ein Pferderennen stattfinden würde in der ostdeutschen Provinz, auf diesen Tribünen würde ich sitzen, auch wenn Grün-Weiß,
Grün-Weiß, Grün-Weiß
ein Teil meines Lebens ist. Müde bin ich. (Geh zur Ruh.) Geld verspielt (schließe meine Augen zu), Illusionen weg, Stadt L, so ist's eben immer. (Gevatter Bach / hab gut Acht / auch auf mich in dieser Nacht.)
    Und als ich mit meinem Fahrrad (auf der Wiese vorm Stadion muss ich brüllen, weil ein halbwüchsiger L-O-K-Rotzer einen vielleicht zwölfjährigen Chemiefan bespuckt und bepöbelt) Richtung Innenstadt verschwinden will, links im Blickfeld ein Mann mit Platzwunde an eine Mauer gelehnt, wird mir der Weg versperrt, fünf, sechs Bullen hindern mich an der Weiterfahrt, Hauptstraße, Bürgerstraße, der Bulle (kenn ich den nicht irgendwoher?), der mir den Knüppel vors Gesicht hält, schwitzt wie ein Schwein, »Das muss nicht sein«, sage ich, »nimm den Knüppel aus meinem Gesicht!« (Auf meinem Fahrrad sitze ich, ein Bein stützt mich auf dem Boden ab.) Einmal, in Chemnitz, im Pulk der Fans, forderte mich ein Polizist auf, auf dem Bordstein zu laufen und nicht auf der Straße (Zentimeter neben dem Bordstein lief ich, genau wie die Polizisten, die den Pulk begleiteten), aber warum soll ich darauf reagieren, die Straße ist frei!, wieder sprach er mich an, wieder reagierte ich nicht, und dann: American Football, gepanzert der Mann, Bodycheck, BUMM war ich auf dem Fußweg.
Hier hatte wieder ein Einzelner gegen die Sklavenhalterei
des modernen Staates

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