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Gewalten

Gewalten

Titel: Gewalten
Autoren: Clemens Meyer
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nur noch ein dunkler Haufen in der verlöschenden Bewegung ist, triumphiert, bevor nur noch ein Rechteck, in der Größe einer Zigarettenschachtel ... und das alles in wenigen Sekunden, aber zeitverzögert, so dass hinter uns bereits das nächste Rennen beginnt, während wir immer noch staunend auf diesen winzigen Lichtpunkt starren, bis alles schwarz ist. Und der Regen fällt.
    Und
das
ist
das
, was ich erinnere in dieser kleinen Bar in der Nähe des Doms der Stadt M, in die ich gereist bin, um die Dinge zu begreifen. (»Was für Dinge meint er denn?« – »Seid doch nicht so ungeduldig, lasst ihm Zeit, er wird es schon erklären!«)
    Ist das ein Rest der Stadtmauer, diese Mauer, die den Dom abgrenzt vom Fluss? Als die Straßenbahn auf dem
Rückweg vom
Herrenkrug
über die Brücken fuhr, schien es mir, als wäre das Wasser gestiegen, auf den Ufern der Nebenarme sah ich nur noch die Kronen der Bäume, in den schwarzen Strudeln der Ströme. Nur Sekundenbruchteile sah ich das aus den Augenwinkeln, konnte kaum den Kopf drehen, weil die Straßenbahn über die Brücken raste, klirrend und kreischend in den Schienen, als wäre das verzerrte Bild hinter ihr her, dieser dunkle Haufen
Le Berlin
, der doppeltürmige Reiter treibt es an mit vier Händen.
    Und Bewegung draußen auf dem Domplatz, Menschen strömen zusammen, ich sehe das durch die Scheibe, drehe langsam den Kopf, rauche, obwohl ich aufgehört habe zu rauchen im Frühjahr 2009 , die Türen des Doms sind geöffnet, und ich sehe Menschen, die hineingehen, der Pulk auf dem Platz wird kleiner, nur wenige kommen wieder heraus, laufen abseits des Stroms, die haben seltsam verzerrte Gesichter, als hätte ihnen da drinnen etwas ganz und gar nicht gefallen, irgendein Schrecken hat sie ergriffen, wie sie orientierungslos vor meiner Scheibe taumeln. Und ich rauche, obwohl ich das nicht will, die Schachtel vor mir auf dem Tresen. Ich habe ein paar Zigaretten herausgenommen und sortiert, genau 4 Stück, die liegen neben meinen Gläsern. Und während ich das Wimmeln der Verängstigten beobachte, die Taschen voller Geld, 4 und 3 , und die 13 ist M, da habe ich dieser verdammten Esoterik abgeschworen und dennoch mit ihr gewonnen, aber ich habe gewusst, dass ich gewinne, sonst wäre ich nicht in die Stadt M gefahren, wo jetzt die Dinge (und
das
ist
das
) außer Kontrolle geraten, aber die Scheibe schützt mich, also da überlege ich und denke daran, mich zu schützen vor den Giften des Tabaks.
Die Zahlen sind das gefährlichste aller Gifte.
4 Zigaretten sollten reichen, nicht
wahr?, und ich habe schon die Schachtel in der Faust, denke aber an das
Chaos
, das ich kürzlich im
Brick’s
angerichtet habe, mit einer ähnlichen Idee. Die Idee war, mich zu schützen vor den Giften des Tabaks,
Chaos schadet der Berechnung
, 4 Zigaretten hatte ich rausgenommen aus meiner Schachtel, das wird wohl reichen für die paar Drinks, die ich im Keller, also im
Brick’s
, nehmen will. Also bin ich mit der Schachtel aufs Klo gegangen. Wollte sie hinterspülen, 4 Kippen auf dem Tresen neben meinen Gläsern. Hab die Schachtel in der Hand zerquetscht und sie tief ins Klo gedrückt. Die steckte dann in dieser Öffnung unterhalb der Schüssel. Und ich hab sie tief in diesem Schacht verkantet. Und gespült danach. Aber das Wasser staute sich im Becken, schwappte fast über in den Raum. Und da griff ich in das Wasser im Becken, mitten in den durchsichtigen Strudel, meine Hand im weichen Boden der Börde, und ich schiebe die Schachtel noch tiefer in den Schacht. So weit, wie ich komme mit meinem Arm. Aber das Wasser fließt nur sehr langsam ab, die Schachtel steckt fest, und als ich noch einmal spüle, ist die Schüssel wieder voll und schwappt über. Das wird sich schon geben, denke ich, und gehe zurück zum Tresen, wo meine 4 Kippen neben meinen Gläsern liegen. Und später, viel später, sind diese 4 Kippen aufgeraucht, das
Brick’s
ist gut gefüllt um diese Zeit nach Mitternacht, die Klos sind gut besucht, ertönt der Schrei: »Verstopft, das Wasser kommt«, und lässt meine Gläser klirren, und Minuten vorher habe ich mir eine neue Schachtel geholt am Automaten, weil die Gier nach dem Gift mir keine Ruhe gelassen hat, kurz hatte ich überlegt, in diese Klokabine zu gehen und die Schachtel aus dem Nass zu ziehen, aber sie ist ja nicht mehr verwendbar, meine Schachtel hat alles verkantet und gestoppt, die gesamte
Barmannschaft rennt zu den Klos, und ich hoffe, es ist ihnen nicht aufgefallen, dass ich
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