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Gewalten

Gewalten

Titel: Gewalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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. Jahrhundert, die Fundamente eines Klosters unter mir, auf einem Felsen erbaut, der Boden ist weich unten am Fluss, der schmale Felsen trägt seit 1000  Jahren diese Last, die Stadt brennt, und die Kaiserpfalz brennt, und die Kathedrale, die aus dem Kloster entstand, brennt, und ein langgezogenes Heulen und Pfeifen in dem hohen Raum, eine Bombe zerschlägt Dach und Orgel, das muss später sein, ein steinerner Schäfer steht still in der Ecke mit seinem Stab, und ein »Mäh, Mäh, Mäh« mischt sich in das Heulen und Donnern, der Feuerschein der brennenden Stadt M durchs zerschlagene Dach, aber ein anderer Schein ist das jetzt, Gold, Gold, schaff Gold, Böttcher!, Meißen nicht weit gegen den Strom, weißes Gold in Meißen,
alles Gute kommt aus Osten!, und der stille Schäfer hat Gold gefunden, heilige Mutter Maria, stochert mal eben kurz in der Erde, was für ein Berg aus Gold!, stiftet’s der Kirche, der Narr, damit sie weiter und höher bauen können, ihre Türme dem Herrn ins Gesicht, selig sind die, die da geistig arm sind, Narren kommen in den Himmel, und ich stehe vor dem steinernen Becken in der Mitte des Gangs, der Altar weit vor mir im Schatten, das Wasser zittert, da tauch ich die Hand ein bis zum Gelenk, seltsam weich und warm dieses Wasser, ist das ein Taufbecken oder eins mit Weihwasser zum Bekreuzigen, aber protestantisch alles hier, in Luthers eigenem Land, Mitteldeutschland, die Wiege unserer Sprache, die Wiege der Reformation und damit der Aufklärung, Katholiken wollen wir keine auf Luthers fruchtbarem Boden, weicher, dunkler Bördeboden, und die Hände der Bauern tief in der Erde bis runter zu den Gebeinen ihrer Väter, und ich ziehe meine nasse Hand aus dem zitternden Wasser, es zittern die morschen Knochen ... nur einmal habe ich mich mit Weihwasser bekreuzigt, in Bayern ist das gewesen, und nur, weil ich einen Fleck auf der Jacke hatte, einen großen Dönersoßenfleck, den wollte ich mit heiligem Wasser reinwaschen, also die Jacke, und da musst ich so tun, als würd’ ich mich bekreuzigen, damit die Mariensektierer mich nicht verfluchen, zu Salz sollst du erstarren, du Frevler, entweihst diesen heiligen Ort, indem du deine Jacke mit Gottes eigenem Wasser ... und ich wische mir die Hand trocken, schaue noch einmal in den steinernen Kelch und laufe weiter über die Gebeine unter mir, KLAMM KLAMM KLAMM , meine Schritte im hohen Raum, gotische Bögen, und draußen hagelt es Pfeile, und Reiterhorden im
Herrenkrug
, und die Stadt wird geschändet, dreißig Jahre lang,
na, wo ist denn euer Gott?, VORSICHT , sage ich mir, genau weiß man nie, und ich bin getauft und konfirmiert und habe die Bibel dreieinhalbmal gelesen und noch einen – sagen wir gewissen Restglauben in mir, und beten tu ich in den dunklen Nächten auch, und im Posaunenchor hab ich bis achtzehn gespielt, manchmal noch so betrunken an den Sonntagmorgen, dass durch den Trichter meiner Trompete, zweite Stimme, der heilige Weingeist über die Gemeinde kam und sie HOSSANNA HOSANNA in Verzückung gebracht hat, und der Prediger Bake, Reinhard, kniet vor den Toren des Doms und fleht zu den Truppen des General Tilly und zum General Tilly persönlich, schaut auf diese Stadt!, und drinnen, Tausende beten, dass sich Gott selbst in den roten Wüsten des Mars erbarmen muss. Aber alles leer zwischen den gotischen Bögen, nur Schatten, und ich nähere mich langsam dem Altar. Und jetzt sehe ich sie. Die Augen gewöhnen sich an das Licht. Da starren sie mich an. Ihre Augen. Zwischen den Bögen, links und rechts des Mittelgangs stehen sie, und oben auf der zweiten Ebene, recken die Köpfe, um mich besser sehen zu können, dicht gedrängt in den Schatten, Leiber, die aus den Wänden zu wachsen scheinen, stumm rückt die Masse auf mich zu, keinen Fuß bewegend, und ich drehe mich um und renne, sehe eine steinerne Frau, die ist ganz grün, mit einer Haube auf dem Kopf, die hält ein Schwert oder so was in der Hand, und weil das Bild verwackelt, während ich renne, wackelt auch sie mit dem Kopf, nickt mir zu und will mich einladen zu einem Schäferstündchen, denn der stille Schäfer in der anderen Ecke hat schon lange seinen Stab nicht mehr gerührt, bleib doch, Fremder, schalali und schalala, ich zeig dir meine Trauben, gebenedeit sind die Früchte meines Leibes, das wird dir gefallen, bis in
alle ... BUMM BUMM BUMM schlage ich gegen die verschlossene Tür.
    Da summt’s, und die Tür geht auf. Ich laufe eine steile Treppe nach oben. Bevor’s gesummt

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