Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)
Effekt das Verbergen von Gefühlen haben kann. Ich unterrichtete eine Schülergruppe aus der Innenstadt (Anmerkung der Übersetzerin: Die amerikanischen Innenstädte werden weitgehend von Farbigen bewohnt) in einem GFK-Kurs. Als ich am ersten Tag in den Raum kam, wurden die Schüler, die sich fröhlich und angeregt unterhalten hatten, ganz still. „Guten Morgen!“, begrüßte ich sie. Schweigen. Ich fühlte mich sehr unwohl in meiner Haut, hatte aber Angst, das zu sagen. Statt dessen machte ich so professionell wie möglich weiter: „In diesem Kurs werden wir uns mit einem Kommunikationsprozeß beschäftigen, der euch in euren familiären Beziehungen und im Kontakt mit euren Freunden hoffentlich eine Hilfe ist.“
Ich präsentierte weitere Informationen über die GFK, aber keiner schien zuzuhören. Ein Mädchen wühlte in ihrer Tasche herum, fischte eine Nagelfeile heraus und begann heftig, ihre Nägel zu feilen. Die Schüler am Fenster drückten ihre Nasen an die Scheiben, als ob sie von dem, was unten auf der Straße vor sich ging, fasziniert wären. Ich fühlte mich immer unwohler, sagte aber weiterhin nichts. Schließlich meldete sich eine Schülerin, die sicher mehr Mut hatte als ich: „Es ist Ihnen einfach zuwider, mit Schwarzen zusammen zu sein, stimmt’s?“ Ich war fassungslos, realisierte jedoch sofort, wie ich mit meinem Versuch, mein Unbehagen zu verbergen, zur Einschätzung der Schülerin beigetragen hatte.
„Ich bin wirklich sehr nervös “, gab ich zu, „aber nicht, weil ihr schwarz seid. Meine Nervosität hat damit zu tun, daß ich hier niemanden kenne. Ich wollte akzeptiert werden, als ich hier hereinkam.“ Dieser Ausdruck meiner Verletzlichkeit hatte eine merkliche Wirkung auf die Schüler. Sie fingen an, Fragen über mich zu stellen, mir etwas von sich zu erzählen und drückten ihre Neugier über die GFK aus.
Gefühle im Gegensatz zu „Nicht“-Gefühlen
Gefühle von Gedanken unterscheiden.
Eine häufig vorkommende Verwirrung wird durch unseren Sprachgebrauch ausgelöst: Wir sprechen oft das Wort fühlen aus, ohne damit wirklich ein Gefühl auszudrücken. So sollte man z.B. in dem Satz: „Ich habe das Gefühl, daß mir kein faires Angebot gemacht wurde“ die Passage „ich habe das Gefühl“ passender ersetzen durch „ich denke“. Allgemein können wir sagen, daß Gefühle nicht klar ausgedrückt werden, wenn nach dem Wort fühlen folgendes kommt:
a) Wörter wie daß, wie, als ob:
„Ich habe das Gefühl, daß du es besser wissen solltest.“
„Ich fühle mich wie ein Versager.“
„Ich fühle mich, als ob ich mit einer Wand zusammenleben würde.“
b) Die persönlichen Pronomen ich, du, er, sie, es, wir, ihr, sie:
„Ich habe das Gefühl, ich bin immer zur Stelle.“
„Ich habe das Gefühl, es ist sinnlos.“
c) Namen oder Hauptwörter, die sich auf Menschen beziehen:
„Ich habe das Gefühl, Amy ist immer sehr verantwortlich.“
„Ich habe das Gefühl, mein Chef manipuliert.“
Umgekehrt ist es nicht einmal nötig, das Wort fühlen auszusprechen, wenn wir wirklich ein Gefühl ausdrücken wollen: Wir können sagen: „Ich fühle mich irritiert“ oder einfach: „Ich bin irritiert“.
In der GFK unterscheiden wir zwischen Wörtern, die wirkliche Gefühle ausdrücken, und Wörtern, die beschreiben, was wir darüber denken, wie wir sind.
Unterscheiden zwischen dem, was wir fühlen, und dem, was wir darüber denken, wie wir sind.
A. Beschreibung unseres Denkens, wie wir sind:
„Ich fühle mich unzulänglich als Gitarristin.“
In dieser Aussage beurteile ich eher meine Fähigkeit als Gitarristin, als meine Gefühle klar auszudrücken.
B. Ausdruck wirklicher Gefühle:
„Ich fühle mich als Gitarristin enttäuscht über mich selbst.“
„Ich fühle mich als Gitarristin ungeduldig mit mir selbst.“
„Ich fühle mich als Gitarristin frustriert über mich selbst.“
Das tatsächliche Gefühl hinter meiner Einschätzung von mir selbst als „unzulänglich“ kann also z.B. Enttäuschung, Ungeduld, Frustration oder ein anderes Gefühl sein.
Unterscheiden zwischen dem, wie wir uns fühlen, und dem, was wir denken, wie andere reagieren oder sich uns gegenüber verhalten.
Ähnlich hilfreich ist es, zwischen Wörtern zu unterscheiden, die beschreiben, was wir meinen, was andere um uns herum tun, und solchen, die wirkliche Gefühle beschreiben. Es folgen jetzt Beispiele von Aussagen, die leicht als Ausdruck von Gefühlen mißverstanden werden können:
Weitere Kostenlose Bücher