Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)
Möglichkeiten, wie die Schüler ihre Bitten in positiver Handlungssprache ausdrücken konnten. Am Ende unseres Treffens hatten sie 38 Handlungen aufgeschlüsselt, um die sie den Direktor bitten wollten. Dazu gehörte: „Wir möchten Sie bitten, einer schwarzen Schülervertretung bei Entscheidungen über die Kleidung zuzustimmen“ und „Wir möchten gerne von Ihnen als ,schwarze Schüler‘ bezeichnet werden und nicht als ,Leute‘“. Am Tag darauf brachten die Schüler ihre Bitten vor und benutzten dabei die positive Handlungssprache, die wir geübt hatten; an diesem Abend bekam ich einen begeisterten Anruf von ihnen: Ihr Schulleiter hatte allen 38 Bitten zugestimmt!
Zusätzlich zur Anwendung der positiven Handlungssprache formulieren wir unsere Bitten als konkrete Tätigkeiten, die andere auch wirklich ausführen können. Gleichzeitig vermeiden wir vage, abstrakte und zweideutige Aussagen. In einem Comic sehen wir einen Mann, der in einen See gefallen ist. Während er darum kämpft, über Wasser zu bleiben, ruft er seinem Hund am Ufer zu: „Lassie, hol Hilfe!“ Im nächsten Bild liegt der Hund auf der Couch eines Psychiaters. Wie wir alle wissen, gibt es die unterschiedlichsten Ansichten darüber, was „Hilfe“ ist: In meiner Familie glauben manche, wenn sie um Hilfe beim Abwaschen gebeten werden, daß mit „Hilfe“ Anweisungen geben gemeint ist.
Ein verzweifeltes Paar in einem Workshop veranschaulichte durch sein Beispiel ebenfalls, wie massiv ein ungenauer Sprachstil das Verständnis und die Kommunikation behindern kann. „Ich möchte, daß du mir meine Persönlichkeit läßt“, erklärte die Frau ihrem Mann. „Das mach ich doch!“ kam scharf zurück. „Nein, machst du nicht!“ beharrte sie. Als sie gebeten wurde, ihr Anliegen in positiver Handlungssprache auszudrücken, erwiderte die Frau: „Ich möchte, daß du mir die Freiheit gibst, zu wachsen und ich selbst zu sein.“ Eine solche Aussage ist leider genauso vage und provoziert daher genauso leicht eine rechtfertigende Antwort. Die Frau bemühte sich, ihre Bitte klarer zu formulieren und gab dann zu: „Es klingt irgendwie blöd, aber wenn ich es genau sagen soll, dann hätte ich, glaube ich, gerne, daß du lächelst und sagst, daß alles, was ich mache, o.k. ist.“ Oft verschleiern vage und abstrakte Formulierungen solche belastenden, zwischenmenschlichen Spielchen.
Bitten in klarer, positiver, konkreter Handlungssprache zu formulieren bringt das zutage, was wir wirklich wollen.
Während einer Beratung trat ein ähnlicher Mangel an Klarheit zwischen einem Vater und seinem fünfzehnjährigen Sohn auf. „Alles, was ich möchte, ist, daß du anfängst, ein bißchen Verantwortungsgefühl zu zeigen“, behauptete der Vater. „Ist das zuviel verlangt?“ Ich schlug vor, daß er genau bestimmte, was sein Sohn tun solle, um so verantwortlich zu sein, wie er sich das wünschte. Nach einer Diskussion darüber, wie er seine Bitte klar formulieren könnte, antwortete der Vater verlegen: „Naja, das klingt nicht so gut, aber wenn ich sage, daß ich Verantwortlichkeit möchte, dann meine ich in Wirklichkeit, daß er ohne zu fragen alles macht, was ich sage – daß er springt, wenn ich sage springen, und dabei freundlich lächelt.“ Er stimmte dann mit mir überein, daß ein solches Verhalten seines Sohnes eher eine Demonstration von Unterwürfigkeit als von Verantwortungsgefühl wäre.
So wie dieser Vater sprechen wir oft vage und abstrakt, um anderen Menschen anzudeuten, welche Gefühle oder Wesenszüge wir uns von ihnen wünschen, ohne eine konkrete Handlung zu benennen, die sie ausführen könnten, um unseren Wünschen entgegenzukommen. Ein Arbeitgeber macht zum Beispiel einen ernstgemeinten Versuch, Rückmeldungen von seinen Mitarbeitern zu bekommen, und sagt zu ihnen: „Ich möchte, daß Sie in meiner Gegenwart frei über alles sprechen.“ Mit dieser Aussage kommuniziert der Chef seinen Wunsch, daß sich seine Mitarbeiter „frei“ fühlen sollen. Er sagt ihnen aber nicht, was sie genau tun können, um sich so zu fühlen. Statt dessen kann der Chef die positive Handlungssprache einsetzen, um eine Bitte auszusprechen: „Ich hätte gerne, daß Sie mir sagen, was ich tun kann, um es Ihnen leichter zu machen, in meiner Gegenwart frei über alles zu sprechen.“
Eine vage Ausdrucksweise trägt zu innerer Konfusion bei.
Als letzte Illustration, wie eine vage Ausdrucksweise zur inneren Konfusion beiträgt, möchte ich gerne von einem
Weitere Kostenlose Bücher