Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)
Dialog berichten, den ich in meiner Praxis als klinischer Psychologe in fast unveränderter Form mit den vielen Patienten führte, die wegen ihrer Depressionen zu mir kamen. Nachdem ich empathisch auf die tiefen Gefühle eingegangen war, die der Patient gerade gezeigt hatte, ging unser Gespräch meistens folgendermaßen weiter:
MBR: „Was ist es, was Sie haben wollen und nicht bekommen?“
Patient: „Ich weiß nicht, was ich will.“
MBR: „Ich dachte mir schon, daß Sie das sagen.“
Patient: „Wieso?“
MBR: „Meine Theorie ist, daß wir depressiv werden, weil wir das, was wir wollen, nicht bekommen; und wir bekommen nicht, was wir wollen, weil uns nie beigebracht wurde, das zu bekommen, was wir wollen. Statt dessen haben wir gelernt, brave kleine Jungs und Mädels und gute Mütter und Väter zu sein. Wenn wir eine von diesen guten Eigenschaften haben, gewöhnen wir uns am besten gleich daran, depressiv zu werden. Depression ist die Belohnung fürs Bravsein. Aber wenn Sie sich besser fühlen wollen, dann möchte ich Sie bitten herauszufinden, was Sie sich wünschen. Was genau sollen andere Menschen tun, damit Ihr Leben besser für Sie wird?“
Depression ist die Belohnung fürs Bravsein.
Patient: „Ich möchte gerne, daß mich jemand liebt. Das kann ja nicht so falsch sein, oder?“
MBR: „Das ist ein guter Anfang. Jetzt möchte ich Sie bitten, genauer zu bestimmen, was jemand anders konkret tun soll, damit sich Ihr Bedürfnis, geliebt zu werden, erfüllt. Was könnte ich z. B. jetzt tun?
Patient: „Ach, Sie wissen doch ...“
MBR: „Ich bin mir nicht so sicher, ob ich das weiß. Ich möchte Sie bitten, mir zu sagen, was ich oder andere machen sollen, damit Sie die Liebe bekommen, nach der Sie suchen.“
Patient: „Das ist schwierig.“
MBR: „Ja, es kann schwierig sein, klare Bitten zu formulieren. Aber denken Sie daran, wie schwer es für andere ist, auf unsere Bitte zu reagieren, wenn uns selbst nicht einmal klar ist, was wir wollen!“
Patient: „Mir wird langsam klar, was ich mir von anderen wünsche, um mein Bedürfnis nach Liebe zu erfüllen, aber es ist mir peinlich.“
MBR: „Ja, es ist sehr oft peinlich. Also, was soll ich oder jemand anders tun?“
Patient: „Wenn ich mir genau überlege, was ich möchte, wenn ich um Liebe bitte, dann möchte ich, daß Sie erraten, was ich will, möglichst bevor es mir selbst klar wird. Und dann möchte ich, daß Sie das immer so machen.“
MBR: „Ich bin dankbar für Ihre Klarheit. Ich hoffe, Sie können jetzt erkennen, daß es für Sie unwahrscheinlich ist, jemanden zu finden, der Ihr Bedürfnis nach Liebe erfüllt, wenn er das dafür tun soll.“
Sehr oft konnten meine Patienten dann erkennen, wie stark ihr Mangel an Bewußtheit darüber, was sie sich von anderen wünschten, zu ihren Frustrationen und Depressionen beigetragen hatte.
Bitten bewußt formulieren
Manchmal ist es sicher möglich, eine klare Bitte zu vermitteln, ohne sie in Worte zu fassen. Stellen Sie sich vor, Sie sind in der Küche und Ihre Schwester, die gerade im Wohnzimmer fernsieht, ruft: „Ich habe Durst.“ In diesem Fall liegt es auf der Hand, daß sie Sie höchstwahrscheinlich darum bittet, ihr ein Glas Wasser aus der Küche zu bringen.
Bei anderen Gelegenheiten kann es jedoch passieren, daß wir unser Unbehagen ausdrücken und fälschlicherweise annehmen, der Zuhörer hätte die Bitte dahinter verstanden. Eine Frau kann z. B. zu ihrem Mann sagen: „Ich ärgere mich darüber, daß du vergessen hast, Butter und Zwiebeln zum Abendessen mitzubringen; ich hatte dich doch darum gebeten.“ Für sie mag es klar sein, daß sie ihn bittet, noch mal in den Laden zu gehen – ihr Ehemann hingegen denkt vielleicht, daß sie es nur gesagt hat, um ihm Schuldgefühle zu machen.
Es ist dem Zuhörer vielleicht nicht klar, was wir von ihm wollen, wenn wir nur unsere Gefühle ausdrücken.
Noch öfter geschieht es, daß wir uns einfach nicht darüber im klaren sind, um was wir bitten, wenn wir miteinander sprechen. Wir sprechen andere an und wissen nicht, wie wir mit ihnen in ein richtiges Gespräch kommen können. Wir stoßen Wörter aus und benutzen die Gegenwart der anderen als Abladeplatz. In solchen Situationen erlebt der Zuhörer, der den Worten seines Gegenübers keine klare Bitte entnehmen kann, unter Umständen die Art von Anspannung, wie sie in der folgenden Anekdote zum Ausdruck kommt.
Oft ist es uns nicht bewußt, um was wir bitten.
In einer
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