Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)
Bahn, die die Fluggäste auf dem Flughafen von Dallas/Fort Worth zu ihren entsprechenden Terminals bringt, saß ich einem Ehepaar direkt gegenüber. Für Passagiere, die es eilig haben, ein Flugzeug zu bekommen, kann das Schneckentempo des Zuges schon nervig sein. Der Mann drehte sich also zu seiner Frau und sagte heftig: „In meinem ganzen Leben bin ich noch nie mit einem so langsamen Zug gefahren!“ Sie sagte nichts darauf und schien angespannt zu sein und sich unwohl zu fühlen – denn was für eine Antwort erwartete er wohl von ihr? Er machte dann das, was viele tun, wenn nicht so reagiert wird, wie sie es gerne hätten: Er wiederholte sich. Mit deutlich lauterer Stimme rief er jetzt aus: „In meinem ganzen Leben bin ich noch nie mit einem so langsamen Zug gefahren!“
Die Frau, die nicht wußte, wie sie reagieren sollte, sah noch angespannter aus. Ratlos drehte sie sich zu ihm hin und sagte: „Das Tempo wird elektronisch gesteuert.“ Ich hatte nicht den Eindruck, daß ihn diese Information zufriedenstellte, und so war es auch, denn er wiederholte sich ein drittes Mal – sogar noch lauter: „IN MEINEM GANZEN LEBEN BIN ICH NOCH NIE MIT EINEM SO LANGSAMEN ZUG GEFAHREN!“ Seine Frau war mit ihrer Geduld offensichtlich am Ende, denn sie keifte wütend zurück: „Ja, was soll ich denn tun? Aussteigen und schieben?“ Und schon hatten wir zwei leidende Menschen!
Welche Reaktion hatte der Mann gewollt? Ich meine, daß er Verständnis für sein Leid haben wollte. Hätte seine Frau das gewußt, dann hätte sie z. B. antworten können: „Das klingt so, als machst du dir Sorgen, daß wir vielleicht unser Flugzeug nicht mehr erwischen, und empört bist, weil du gerne schnellere Züge zwischen diesen Terminals hättest.“
In der vorangegangenen Unterhaltung nahm die Frau die Frustration ihres Mannes wahr, aber sie hatte keine Ahnung, was er von ihr wollte. Ähnlich problematisch ist die umgekehrte Situation – wenn jemand eine Bitte ausspricht, ohne zuerst die Gefühle und Bedürfnisse dahinter zu vermitteln. „Warum läßt du dir nicht mal wieder die Haare schneiden?“ wird von jungen Leuten leicht als Forderung oder Angriff verstanden, es sei denn, die Eltern denken daran, zuerst ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse offenzulegen: „Wir machen uns Sorgen, daß deine Haare so lang wachsen, daß du nicht mehr richtig sehen kannst, was um dich herum ist, besonders wenn du mit dem Fahrrad fährst. Was hältst du von einem Haarschnitt?“
Bitten, die nicht von den Gefühlen und Bedürfnissen des Bittenden begleitet werden, können wie eine Forderung klingen.
Wir sind es jedoch vielmehr gewohnt, einfach loszureden, ohne uns bewußt zu sein, worum wir eigentlich bitten. „Ich bitte um nichts“, äußern Sie dann vielleicht, „ich wollte einfach nur das sagen, was ich gesagt habe.“ Ich bin davon überzeugt, daß wir jedesmal, wenn wir etwas zu einem anderen Menschen sagen, im Gegenzug auch etwas erbitten möchten. Das kann einfach ein einfühlsamer Kontakt sein oder eine Bestätigung, ob mit oder ohne Worte, daß wir verstanden wurden (wie bei dem Mann im Zug). Oder wir bitten vielleicht um Aufrichtigkeit: Wir möchten die ehrliche Reaktion des Zuhörers auf unsere Worte erfahren. Oder wir können um eine Handlung bitten, von der wir hoffen, daß sie unsere Bedürfnisse erfüllt. Je klarer wir wissen, was wir vom anderen bekommen möchten, desto wahrscheinlicher ist es, daß sich unsere Bedürfnisse erfüllen werden.
Je klarer wir wissen, was wir vom anderen bekommen möchten, desto wahrscheinlicher ist es, daß sich unsere Bedürfnisse erfüllen werden.
Um Wiedergabe bitten
Bekanntlich ist die Botschaft, die wir aussenden, nicht immer identisch mit der Botschaft, die empfangen wird. Im allgemeinen verlassen wir uns auf sprachliche Hinweise, um festzustellen, ob unsere Aussage zu unserer Zufriedenheit verstanden wurde. Wenn wir dagegen unsicher sind, ob sie so, wie sie gemeint ist, aufgenommen wurde, dann müssen wir in der Lage sein, klar verständlich um eine Antwort zu bitten, die uns verdeutlicht, wie unsere Aussage gehört wurde, so daß wir etwaige Mißverständnisse aufklären können. Manchmal ist eine einfache Frage wie z. B.: „Ist das so klar?“ ausreichend. In anderen Situationen brauchen wir mehr als ein „Ja, ich habe dich verstanden“, um sicher zu sein, daß wir wirklich verstanden wurden. In diesem Fall können wir unsere Gesprächspartner darum bitten, uns in ihren eigenen Worten
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