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Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)

Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)

Titel: Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marshall B. Rosenberg
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Aufmerksamkeit auf den Teil in uns, der das Verhalten gewählt hat, das zur gegenwärtigen Situation führte, und fragen uns: „Als ich mich so verhalten habe, wie ich es jetzt bedaure, welche Bedürfnisse habe ich damit versucht zu erfüllen?“ Ich bin der Überzeugung, daß Menschen immer aus ihren Bedürfnissen und Werten heraus handeln. Das ist so, unabhängig davon, ob die Handlung das Bedürfnis erfüllt oder nicht – ob wir sie letztendlich feiern oder betrauern.
    Wenn wir uns selbst empathisch zuhören, dann wird es uns gelingen, das dahinter liegende Bedürfnis wahrzunehmen. Selbst-Vergebung geschieht in dem Augenblick, wo diese empathische Verbindung hergestellt ist. Denn dann können wir erkennen, wie unsere Handlungsentscheidung dem Leben dienen wollte. Gleichzeitig macht uns der Trauer-Prozeß deutlich, wo es nicht gelungen ist, dem Leben zu dienen.
    Selbst-Vergebung in der GFK: Verbindung aufnehmen mit dem Bedürfnis, das wir erfüllen wollten – durch die Handlung, die wir jetzt bedauern.
    Ein wichtiger Aspekt der Selbst-Vergebung ist die Fähigkeit, einen empathischen Kontakt mit beiden Teilen in uns aufrechtzuerhalten: Mit dem Teil, der die geschehene Handlung betrauert, und mit dem Teil, der gehandelt hat. Der Trauerprozeß und die Selbst-Vergebung machen uns frei, zu lernen und zu wachsen. Wenn wir uns von Moment zu Moment mit unseren Bedürfnissen verbinden, dann erweitern wir unser kreatives Potential, in Übereinstimmung mit ihnen zu handeln.

Was ich vom gesprenkelten Anzug gelernt habe
    Ich möchte den Prozeß des Trauerns und der Selbst-Vergebung mit einer Begebenheit veranschaulichen, die ich selbst erlebt habe. Vor einem wichtigen Workshop hatte ich mir einen hellgrauen Sommeranzug gekauft, den ich dort tragen wollte. Am Ende des gut besuchten Workshops wurde ich von TeilnehmerInnen umringt, die nach meiner Anschrift, meiner Unterschrift und anderen Informationen fragten. Die Zeit für einen weiteren Termin rückte näher, und ich beeilte mich, die Fragen der Leute zu beantworten. Eilig unterschrieb und kritzelte ich auf die vielen Blätter, die mir entgegengehalten wurden. Als ich zur Tür herauslief, steckte ich den Filzstift – ohne Kappe – in die Tasche meines neuen Anzugs. Als ich draußen war, entdeckte ich zu meinem Schrecken, daß ich statt eines schönen hellgrauen, jetzt einen gesprenkelten Anzug anhatte.
    Zwanzig Minuten lang machte ich mich fertig: „Wie konntest du nur so gedankenlos sein? Wie kann man sich nur so blöd anstellen!“ Ich hatte gerade einen nagelneuen Anzug ruiniert. Wenn ich jemals Mitgefühl und Verständnis gebraucht hatte, dann jetzt. Was machte ich statt dessen? Ich ging mit mir so um, daß es mir nur noch schlechter ging.
    Glücklicherweise – nach etwa zwanzig Minuten – merkte ich, was ich da tat. Ich hielt inne und forschte nach dem Bedürfnis, das dadurch zu kurz kam, daß ich den Stift nicht wieder zugemacht hatte. „Welches Bedürfnis liegt hinter meiner Verurteilung als ,gedankenlos‘ und ,blöd‘?“
    Mir wurde klar, daß es um mein Bedürfnis ging, mich gut um mich selbst zu kümmern. Ich hätte gerne auch auf meine eigenen Bedürfnisse geachtet, als ich mich beeilte, den Bedürfnissen anderer gerecht zu werden. Sobald ich mit diesem Teil in mir in Berührung kam und mich mit der tiefen Sehnsucht verband, meine eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und für sie zu sorgen, veränderten sich meine Gefühle. Die Anspannung in meinem Körper löste sich, als der Ärger, die Scham und die Schuldzuweisungen, die ich gegen mich gerichtet hatte, nachließen. Ich betrauerte aus vollem Herzen, daß ich nicht so auf meine Bedürfnisse Rücksicht genommen hatte, wie ich es gern getan hätte, und daher den Stift nicht verschlossen und den Anzug ruiniert hatte. Ich öffnete mich mehr und mehr den traurigen Gefühlen, die sich mit dem wichtigen und zu kurz gekommenen Bedürfnis, gut für mich zu sorgen, einstellten.
    Dann richtete ich meine Aufmerksamkeit auf das Bedürfnis, das ich erfüllt hatte, als ich den unverschlossenen Stift in meine Tasche steckte. Mir wurde klar, wieviel mir daran liegt, auf die Bedürfnisse anderer Menschen einzugehen, auch wenn ich mir mit diesem Eingehen auf die Bedürfnisse anderer nicht mehr die Zeit genommen hatte, meine eigenen Bedürfnisse zu berücksichtigen. Aber statt Vorwürfen spürte ich eine Welle von Mitgefühl für mich selbst, als mir klar wurde, daß ich meine ganze Zeit den Menschen gewidmet und mich so

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