Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)
unter Zeitdruck gebracht hatte, was wiederum zu dem unverschlossenen Stift führte. Ich sah jedoch, daß das alles aus meinem Bedürfnis heraus kam, auf andere rücksichtsvoll einzugehen!
Wir sind dann einfühlsam mit uns selbst, wenn es uns gelingt, alle Teile unseres Selbst aufzunehmen und mit den Bedürfnissen und Werten in Kontakt zu kommen, die von jedem einzelnen Teil gerade zum Ausdruck gebracht werden.
An diesem einfühlsamen, inneren Ort konnte ich mit beiden Bedürfnissen in Kontakt bleiben: einerseits die Bedürfnisse anderer Menschen zu berücksichtigen und andererseits mir meiner eigenen Bedürfnisse bewußt zu sein und für sie zu sorgen. Bin ich mir beider Bedürfnisse bewußt, dann komme ich auf Möglichkeiten, wie ich mich in zukünftigen Situationen anders verhalten kann und finde stimmigere Lösungen, als wenn ich mich in einem Meer von Selbst-Verurteilungen verliere.
Tue nichts, was du nicht aus spielerischer Freude heraus tust!
Zusätzlich zum Trauer-Prozeß und der Selbst-Vergebung betone ich einen weiteren Aspekt der Selbst-Einfühlung: Es ist die Energie, die allen unseren Handlungen zugrunde liegt. Wenn ich empfehle: „Tue nichts, was du nicht aus spielerischer Freude heraus tust!“, halten mich manche für radikal oder sogar für gestört. Ich bin jedoch fest davon überzeugt, daß ein wichtiger Teil der Selbst-Einfühlung darin besteht, uns für Wahlmöglichkeiten zu entscheiden, die einzig und allein aus unserem Wunsch kommen, zum Leben beizutragen, und nicht aus Angst, Scham, Schuld und Verpflichtung heraus. Wenn wir uns der lebensfördernden Absicht hinter jeder unserer Handlungen bewußt werden, wenn die Energie in unserer Seele, die uns motiviert, einfach nur das Leben für andere und für uns selbst bereichern möchte, dann hat selbst harte Arbeit ein Element spielerischer Freude in sich. Die andere Seite der Medaille sieht so aus: Eine an sich erfreuliche Tätigkeit, die aus Verpflichtung, Angst, Schuld oder Scham heraus getan wird, verliert all ihre Erfreulichkeit und führt eher zu Widerstand.
In Kapitel 2 haben wir uns damit beschäftigt, einen Sprachgebrauch, der Wahlmöglichkeiten boykottiert, durch eine Sprache zu ersetzen, die Wahlmöglichkeiten fördert. Vor vielen Jahren habe ich öfter eine Übung gemacht, die den Anteil von Freude und Glücklichsein in meinem Leben entscheidend vergrößerte. Gleichzeitig ließen dadurch Depression, Schuld und Scham erheblich nach. Ich zeige sie Ihnen hier als eine Möglichkeit, die Einfühlsamkeit mit sich selbst zu intensivieren. Gleichzeitig hilft die Übung dabei, unser Leben aus spielerischer Freude heraus zu leben, denn sie stellt uns fest auf den Boden einer klaren Bewußtheit über die lebensbereichernden Bedürfnisse, die allem zugrunde liegen, was wir tun.
„Müssen“ in „frei wählen“ übersetzen
Erster Schritt
Was tun Sie in Ihrem Leben, das Ihnen keine Freude bereitet? Erstellen Sie eine Liste all der Aufgaben, bei denen Sie sich sagen, daß Sie sie tun müssen, und schreiben Sie auch alle Tätigkeiten auf, die Sie furchtbar finden, die Sie aber dennoch tun, weil Sie meinen, Sie hätten keine Wahl.
Als ich mir meine eigene Liste zum ersten Mal anschaute und feststellen mußte, wie lang sie war, ließ mich das erkennen, warum ich soviel Zeit damit verbrachte, das Leben nicht zu genießen. Mir fiel auf, was ich alles an einem normalen Alltag tat, nur weil ich mich glauben machen wollte, ich müßte das alles tun.
Der erste Punkt auf meiner Liste hieß „Patientenberichte schreiben“. Ich haßte es, diese Berichte zu schreiben, und dennoch saß ich täglich mindestens eine Stunde wie gelähmt über ihnen. Der zweite Punkt lautete „Fahrdienst für die Schulkinder“.
Zweiter Schritt
Wenn Sie Ihre Liste fertig haben, dann nehmen Sie ganz deutlich wahr und erkennen Sie an, daß Sie all diese Dinge tun, weil Sie sie frei gewählt haben und nicht, weil Sie sie tun müssen. Setzen Sie die Wörter „Ich habe frei gewählt zu ...“ vor jeden Punkt auf Ihrer Liste.
Ich kann mich gut an meine eigenen Widerstände bei diesem Schritt erinnern. Ich beharrte darauf, daß „Patientenberichte schreiben“ nicht etwas ist, „das ich frei gewählt habe! Ich muß sie schreiben. Ich bin klinischer Psychologe. Ich muß diese Berichte schreiben.“
Dritter Schritt
Haben Sie anerkannt, daß Sie eine bestimmte Tätigkeit frei gewählt haben, dann nehmen Sie Kontakt auf mit dem Anliegen hinter Ihrer Wahl, indem Sie
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