Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)
erzählt!“ rief der Mann aus. „Ich war wütend, weil sie nicht auf meinen Antrag reagiert haben!“ Weil er Auslöser und Ursache in einen Topf warf, fiel er auf das Gedankenmuster herein, daß es das Verhalten der Gefängnisverwaltung war, das ihn wütend machte. Dieses Muster kann man sich in einer Kultur, die Schuldzuweisung als Mittel zur Kontrolle der Menschen einsetzt, leicht angewöhnen. Für solche Kulturen ist es wichtig, die Leute zu der Vorstellung zu verleiten, daß sie anderen bestimmte Gefühle machen können.
Um durch Schuldzuweisung zu motivieren, vermischt man Auslöser und Ursache.
Wenn Schuldzuweisung zu einer Taktik der Manipulation und der Nötigung wird, ist es nützlich, Auslöser und Ursache miteinander zu vermischen. Wie schon zuvor erwähnt, werden Kinder, denen gesagt wird: „Es verletzt Mama und Papa, wenn du schlechte Noten bekommst“ dazu verleitet zu glauben, daß ihr Verhalten die Ursache für die Verletzung ihrer Eltern ist. Die gleiche Dynamik kann man in Partnerschaften beobachten: „Es enttäuscht mich wirklich, wenn du an meinem Geburtstag nicht hier bist.“ Unsere Sprache erleichtert den Gebrauch dieser schuldzuweisenden Taktik. Wir sagen: „Du machst mich wütend.“ „Du verletzt mich, wenn du das tust.“ „Ich bin traurig, weil du das getan hast.“ Unsere Sprache kennt viele Formulierungen, die glauben machen, daß unsere Gefühle aus dem resultieren, was andere tun. Der erste Schritt in dem Prozeß, unseren Ärger vollständig auszudrücken, besteht darin, daß wir folgendes realisieren: Das, was andere Menschen tun, ist niemals die Ursache für das, was wir fühlen.
Die Ursache des Ärgers liegt in unserem Denken: in Gedankenmustern von Schuld und Verurteilung.
Was ist also die Ursache des Ärgers? Im Kapitel 5 wurden die vier Wahlmöglichkeiten vorgestellt, die uns zur Verfügung stehen, wenn wir mit einer Äußerung oder einem Verhalten konfrontiert werden, das uns nicht gefällt. Ärger entsteht dann, wenn wir die zweite Möglichkeit auswählen: Immer wenn wir uns ärgern, suchen wir beim anderen einen Fehler – wir entscheiden uns, Gott zu spielen, indem wir den anderen verurteilen oder ihm den Vorwurf machen, daß er etwas falsch gemacht hat oder Bestrafung verdient. Ich möchte Ihnen nahelegen, hier die Ursache des Ärgers zu suchen. Auch wenn es uns anfangs nicht bewußt ist: Ärger wohnt in unserem eigenen Denken.
Die dritte Reaktionsmöglichkeit, die in Kapitel 5 beschrieben wird, besteht darin, mit dem Licht unseres Bewußtseins unsere eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu erhellen. Anstelle einer verkopften Analyse der Fehler einer anderen Person entscheiden wir uns für den Kontakt mit der lebendigen Energie, die in uns ist. Diese Lebensenergie ist direkt vor unserer Nase, ganz einfach zugänglich, wenn wir uns auf das konzentrieren, was wir in jedem einzelnen Augenblick brauchen.
Wenn z.B. jemand zu spät zu einer Verabredung kommt und wir die Bestätigung brauchen, daß wir ihm etwas bedeuten, dann fühlen wir uns vielleicht verletzt. Wenn wir statt dessen das Bedürfnis haben, unsere Zeit sinnvoll und konstruktiv zu verbringen, sind wir vielleicht frustriert. Wenn wir andererseits das Bedürfnis nach einer stillen halben Stunde haben, dann sind wir unter Umständen sogar dankbar für die Verspätung und ärgern uns keineswegs. So wird deutlich, daß nicht das Verhalten des anderen, sondern unser eigenes Bedürfnis unser Gefühl hervorruft. Wenn wir mit unseren Bedürfnissen in Kontakt sind, ob es jetzt Bestätigung, Sinnhaftigkeit oder Stille ist, dann sind wir mit unserer Lebensenergie verbunden. Wir mögen dann starke Gefühle haben, aber wir ärgern uns nicht. Dieser Ärger entsteht aus lebensentfremdenden Gedankenmustern, die von unseren Bedürfnissen abgetrennt sind. Sie zeigen uns, daß wir in unseren Kopf gegangen sind, um jemanden zu analysieren und zu verurteilen, anstatt unsere Aufmerksamkeit auf das zu richten, was wir brauchen und nicht bekommen.
Zusätzlich zur dritten Variante, uns mit unseren eigenen Bedürfnissen und Gefühlen zu beschäftigen, steht es uns jederzeit frei, das Licht unseres Bewußtseins auf die Gefühle und Bedürfnisse der anderen Person strahlen zu lassen. Wenn wir uns für diese vierte Wahlmöglichkeit entscheiden, werden wir uns ebenfalls niemals ärgern. Wir unterdrücken den Ärger nicht; wir merken, wie Ärger einfach nicht vorhanden ist in jedem Moment, den wir ganz präsent bei den Gefühlen und
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