Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)
Bedürfnissen unserer Gesprächspartner sind.
Ärger hat immer einen lebensbejahenden Kern
„Aber“, werde ich gefragt, „gibt es nicht Umstände, unter denen Ärger gerechtfertigt ist? Ruft nicht zum Beispiel rücksichtslose, fahrlässige Umweltverschmutzung nach ,gerechter Empörung‘?“ Meine Antwort darauf lautet: Sobald ich die Überzeugung nähre, in welchem Ausmaß auch immer, daß es so etwas gibt wie „rücksichtsloses Handeln“ oder „pflichtbewußtes Handeln“ oder einen „gierigen Menschen“ oder einen „anständigen Menschen“, dann trage ich zur Gewalt auf diesem Planeten bei. Daran glaube ich ganz fest. Statt sich darauf zu einigen oder auch nicht zu einigen, was Menschen sind, wenn sie morden, vergewaltigen oder die Umwelt verschmutzen, fördern wir meiner Meinung nach die lebensbejahenden Energien mehr, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf das lenken, was wir brauchen.
Wenn wir andere verurteilen, tragen wir zur Gewalt bei.
Ich verstehe jeden Ärger als Ergebnis einer lebensentfremdenden, Gewalt provozierenden Art zu denken. Im Kern jeden Ärgers findet sich ein Bedürfnis, das nicht erfüllt ist. So kann Ärger sehr wertvoll sein, wenn wir ihn als Wecker nehmen, der uns aufweckt – um zu realisieren, daß wir ein unerfülltes Bedürfnis haben und daß unsere Art zu denken dessen Erfüllung unwahrscheinlich macht. Um Ärger vollständig auszudrücken, brauchen wir ein klares Bewußtsein für unser Bedürfnis. Zusätzlich brauchen wir Energie, um unser Bedürfnis zufriedenzustellen. Der Ärger jedoch zieht uns Energie ab, indem er sie in Richtung „Leute bestrafen“ statt „Bedürfnisse erfüllen“ lenkt. Anstatt uns für „gerechte Empörung“ einzusetzen, empfehle ich, daß wir uns mit unseren eigenen oder den Bedürfnissen anderer Menschen empathisch verbinden. Dazu mag intensives Üben notwendig sein, wo wir immer wieder ganz bewußt den Satz „Ich bin wütend, weil sie ...“ ersetzen durch „Ich bin wütend, weil ich ... brauche“.
Nimm den Ärger als einen Weckruf.
Mir wurde einmal eine bemerkenswerte Lektion zuteil, als ich mit Schülern in einem Heim für schwererziehbare Kinder in Wisconsin arbeitete. An zwei aufeinanderfolgenden Tagen wurde ich in auffällig ähnlicher Weise auf die Nase geschlagen. Beim ersten Mal landete ein Ellbogen hart auf meiner Nase, als ich in einen Kampf zwischen zwei Schülern eingriff. Ich war so erbost, daß ich mich nur mit Mühe davon abhalten konnte, zurückzuschlagen. Auf den Straßen von Detroit, wo ich aufgewachsen war, hatte es viel weniger gebraucht als einen Ellbogen auf der Nase, um einen Wutausbruch bei mir zu provozieren. Am zweiten Tag: ähnliche Situation, dieselbe Nase (also viel schmerzhafter), aber kein bißchen Ärger!
Ärger zieht uns Energie ab, indem er sie auf Strafaktionen umlenkt.
Als ich an diesem Abend über meine Erfahrungen intensiv nachdachte, erkannte ich, daß ich das erste Kind in Gedanken als „verzogenes Gör“ bezeichnet hatte. Dieses Bild war schon in meinem Kopf, bevor der Ellbogen auch nur in die Nähe meiner Nase gekommen war, und als es dann passierte, war es nicht nur einfach ein Ellbogen auf meiner Nase. Es war: „Dieses unausstehliche Gör hat kein Recht, das zu tun!“ Ich hatte auch ein Urteil über das andere Kind; ich betrachtete es als „bedauernswertes Wesen“. Da ich dazu neigte, mir um dieses Kind Sorgen zu machen, empfand ich überhaupt keinen Ärger, obwohl meine Nase am zweiten Tag viel stärker schmerzte und blutete. Es hätte keine wirkungsvollere Lektion für mich geben können, um zu verstehen, daß mein Ärger nicht durch die Handlungen anderer Menschen hervorgerufen wird, sondern durch die Bilder und Interpretationen in meinem eigenen Kopf.
Auslöser kontra Ursache: Praktische Auswirkungen
Ich betone die Unterscheidung zwischen Ursache und Auslöser aus praktischen, taktischen und auch aus philosophischen Gründen. Ich möchte diesen Punkt noch einmal verdeutlichen und kehre deshalb zu meinem Gespräch mit John, dem schwedischen Gefangenen, zurück.
John: „Vor drei Wochen habe ich bei der Gefängnisleitung einen Antrag eingereicht, und sie haben bis jetzt noch nicht darauf geantwortet.“
MBR: „Als das passiert ist, waren Sie weshalb wütend?“
John: „Das habe ich Ihnen gerade gesagt. Sie haben auf meinen Antrag nicht reagiert!“
MBR: „Einen Moment. Anstatt zu sagen: ,Ich habe mich geärgert, weil sie ...‘, machen Sie bitte eine kurze Pause und
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