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Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)

Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)

Titel: Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marshall B. Rosenberg
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nähren ihre Meinung mit Geschichten von Kindern, die ihren Dank ausdrückten, weil sie sich nach einer Bestrafung wie „neugeboren“ fühlen. Da ich selbst vier Kinder großgezogen habe, habe ich tiefes Verständnis für die täglichen Herausforderungen, denen sich die Eltern stellen müssen, wenn sie ihre Kinder erziehen und dafür sorgen wollen, daß ihnen nichts passiert. Das mindert jedoch nicht meine Bedenken bezüglich körperlicher Strafen.
    Zum einen frage ich mich, ob sich die Leute, die den Erfolg solcher Strafen verkünden, über die unzähligen Situationen im klaren sind, in denen sich Kinder genau gegen das wenden, was vielleicht gut für sie ist, einfach weil sie die Wahl getroffen haben, zu kämpfen, statt sich dem Zwang zu beugen. Zum anderen bedeutet die Tatsache, daß man mit Schlägen ein Kind beeinflussen kann, nicht, daß nicht andere Methoden der Einflußnahme genausogut funktionieren. Außerdem teile ich die Sorgen vieler Eltern, was die sozialen Konsequenzen körperlicher Bestrafung angeht. Wenn Eltern dafür eintreten, strafende Macht anzuwenden, gewinnen sie vielleicht den Kampf darum, daß die Kinder tun, was ihre Eltern wollen – aber wird dann nicht eine soziale Norm gepflegt und weitergegeben, die Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung rechtfertigt?
    Zusätzlich zur körperlichen Strafe gibt es auch noch andere Formen von Machtausübung, die ebenfalls strafend sind, wie z.B. einen anderen Menschen abzuwerten, indem man ihm Vorwürfe macht: Eltern können ihr Kind als „falsch“ oder „selbstsüchtig“ oder „unreif“ abstempeln, wenn es sich nicht in einer bestimmten Weise verhält. Eine andere Art strafender Macht ist das Einschränken von Vergünstigungen, wie z.B. die Kürzung des Taschengeldes oder das Autofahren weniger zu erlauben. Bei dieser Art der Bestrafung stellt die Schmälerung von Zuwendung und Respekt eine der wirkungsvollsten Bedrohungen überhaupt dar.
    Verurteilendes Abstempeln und das Einschränken von Vergünstigungen gehören auch zu den Strafen.

Strafen haben ihren Preis
    Wenn wir uns darauf einlassen, etwas nur zu tun, um einer Strafe zu entgehen, wird unsere Aufmerksamkeit vom Sinn der Handlung selbst abgelenkt. Statt dessen konzentrieren wir uns auf die möglichen Konsequenzen, die eintreten können, wenn wir diese Handlung verweigern. Wenn man einen Arbeiter mit der Angst vor Strafe „motiviert“, dann wird zwar die Arbeit gemacht, aber die innere Kraft leidet; und so wird früher oder später die Produktivität nachlassen. Auch das Selbstwertgefühl leidet, wenn Strafe droht. Wenn Kinder ihre Zähne deshalb putzen, weil sie Angst davor haben, beschuldigt und lächerlich gemacht zu werden, dann verbessert sich vielleicht ihre Zahngesundheit, aber ihr Selbstvertrauen bekommt immer mehr Löcher. Darüber hinaus kostet Bestrafung, wie wir alle wissen, sehr viel Wohlwollen. Je mehr wir als Agenten einer Strafinstanz angesehen werden, desto schwerer wird es für die anderen, einfühlsam auf unsere Bedürfnisse zu reagieren.
    Wenn wir Angst vor Strafe haben, sind wir mit unserer Aufmerksamkeit bei den Konsequenzen, nicht bei unseren eigenen Werten.
    Ich besuchte einmal einen Freund, einen Schulleiter, in seinem Büro. Durch das Fenster sah er gerade, wie ein großes Kind auf ein kleineres einschlug. „Entschuldige“, sagte er, als er aufsprang und zum Spielplatz lief. Er packte das größere Kind, gab ihm eine Ohrfeige und schimpfte: „Ich werde dich lehren, daß man die Kleineren nicht schlägt!“ Als er wieder zurückkam, sagte ich beiläufig: „Ich glaube nicht, daß du dem Kind das beigebracht hast, was du wolltest. Ich habe den Verdacht, daß es statt dessen gelernt hat, nicht die Kleineren zu schlagen, wenn jemand, der stärker ist – wie zum Beispiel der Direktor –, zuschaut! Außerdem hast du vielleicht noch seine Meinung bekräftigt, daß man andere schlagen muß, wenn man etwas von ihnen will.“
    In solchen Situationen empfehle ich, zuerst dem Kind Empathie zu geben, das sich gewalttätig verhalten hat. Wenn ich z.B. ein Kind sehe, das jemanden schlägt, nachdem es beschimpft worden ist, kann ich mich folgendermaßen einfühlen: „Ich habe den Eindruck, daß du dich ärgerst, weil du gerne mit mehr Respekt behandelt werden möchtest.“ Wenn meine Vermutung richtig war und das Kind mir das bestätigt, dann würde ich meine eigenen Gefühle, Bedürfnisse und Bitten in dieser Situation zum Ausdruck bringen, jedoch ohne ihm Vorwürfe

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