Gewitter der Liebe
durchquert. Julia fühlte sich verschwitzt und staubig, doch zum Waschen war nicht genügend Wasser da. Auch die Kleidung starrte längst vor Schmutz, und das Haar bedurfte dringend einer Wäsche.
Während man sich wegen der Hitze tagsüber vor Erschöpfung kaum bewegen konnte, waren die Nächte bitterkalt. Hin und wieder, wenn Ross die Brüder Hofman überreden konnte, in einem anderen Wagen zu schlafen, ging Julia zu ihm. Um sich zu lieben, waren beide viel zu ermattet, doch es tat gut, den geliebten Menschen bei sich zu haben.
Unterdessen litt Nathan doppelt. Zum einem machte ihm die Hitze und der Durst zu schaffen, zum anderen Julias Beziehung mit dem Abenteurer Ross. Er liebte diese Frau von ganzem Herzen, und wenn er Ross vor Glück strahlen sah, hoffte er im Stillen, dass er sie glücklich machte. Nathans anfängliche Hoffnung, dass sie ihn vorziehen würde, hatte sich längst zerschlagen, und er fragte sich bisweilen, ob er sich jemals in eine andere Frau verlieben könnte.
Voller Ungeduld wie ein Kind erkundigte sich Lilly fast jeden Tag bei James Cramer, wie lange es denn noch dauern würde, bis sie die Berge erreichen würden. Cramers Antworten befriedigten sie nicht, denn er wollte sie nicht beunruhigen. Hätte sie die Landkarte gesehen, wäre sie wohl verzweifelt, denn der Treck hatte noch über hundert Meilen vor sich.
Und dann kam der Tag, an dem Lilly morgens nicht mehr aufstehen wollte. Sie verweigerte jegliches Essen, nahm nur hin und wieder einen winzigen Schluck des warmen abgestandenen Wassers aus der Blechtonne.
Apathisch lag sie da, und obwohl sie kein Fieber hatte, stand fest, dass sie sehr krank war. Julia versuchte sie immer wieder aufzumuntern, benetzte Lillys aufgesprungenen Lippen mit Wasser und hielt ihre Hand. Während der Fahrt starrte sie oft stundenlang ins Nichts, und Julia bekam Angst, dass die Freundin sterben müsste.
Lilly war nicht die einzige, der es miserabel ging. In vielen Wagen gab es Männer, die nur noch apathisch im Wagen lagen und hofften, bald sterben zu dürfen.
Auch Julia spürte ihre Kräfte schwinden, und einmal glaubte sie in der Ferne die dunklen Umrisse der Berge zu sehen. Doch sie täuschte sich wie all die anderen, die vor ihr eine Fata Morgana erlebt hatten. Einige glaubten sogar, eine Oase mit Obstbäumen zu erkennen, doch in Wahrheit war da nichts außer der staubigen Wüste.
Da der Hunger immer größer wurde, entschieden sich einige, einen der Zugochsen zu opfern. Etliche Zugtiere waren inzwischen einfach tot zusammengebrochen, und auch Nathans Gespann wurde schwächer und schwächer. Der ganze Treck kroch nur noch dahin, man schaffte täglich oft nur wenige Meilen.
Verzweifelt weinte sich Julia bei Ross aus, der nicht weniger als alle anderen unter den Umständen litt.
»Wir werden alle sterben«, schluchzte sie an seiner Schulter. »Dieser Preis ist viel zu hoch für ein Leben im gelobten Land.«
Behutsam strich er ihr über den Rücken. Sie war mager geworden, und ihre Lebenslust schien erloschen zu sein.
»Du bist stark, du wirst es schaffen. Nur noch wenige Tage, dann erreichen wir eine Quelle, meint James. Und dann ist es nicht mehr weit bis zu den Bergen. Halte bitte so lange durch.«
»Ich kann nicht mehr, Ross.« Sie blickte ihn hilflos an. »Überall siechen die Menschen und Tiere dahin. Es ist die Hölle! Und wenn Lilly stirbt, möchte ich auch nicht mehr leben.«
»Was redest du da, Liebling? Du hast doch mich, und Nathan wird auch immer für dich da sein.«
Nachdenklich fuhr sie mit der Zungenspitze über die spröden Lippen. »Wir haben kaum noch Wasser, und die Zugtiere verhungern. Und wer sagt denn, dass nicht auch noch du und Nathan krank werdet?«
Darauf wusste Ross keine Antwort, und um sie abzulenken, schlug er vor, Zukunftspläne zu schmieden, obwohl ihm vor Durst die Zunge am Gaumen klebte. Obschon Julia an kaum etwas anderes denken konnte als an den kläglichen Wasserrest in Nathans Blechtonnen, versuchte sie sich ein Leben an Ross’ Seite nach der Überquerung vorzustellen.
Weiter ging es im Schritttempo. Kakteen gab es nicht mehr, nur steinige Wüste, und die Sonne brannte von morgens bis abends erbarmungslos vom Himmel.
Julia stolperte nur noch neben dem Wagen her; wie durch einen Schleier blickte sie geradeaus, von der sengenden Sonne geblendet. Aber außer der Wüste gab es nichts zu sehen.
Besorgt wurde sie von Nathan beobachtet. Ihm selbst ging es nicht besser als allen anderen, aber er bereute, Julia und
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