Gewitter der Liebe
Geschirr, und auch die beiden Frauen gingen zu Fuß. Dies war eine gute Übung für den bevorstehenden Marsch durch die Sierra Nevada, wo es weder Wasser noch Gras gab – von frischen Nahrungsmitteln für die Menschen ganz zu schweigen. Es würde der schlimmste Teil der Reise werden.
Abends trafen sich Julia und Ross nun regelmäßig. Dann saßen sie engumschlungen am Lagerfeuer und träumten von der Zukunft – einer glorreichen Zukunft im gelobten Land.
Mitunter versuchte Lilly mit Ross zu flirten, was ihr zornige Blicke von Julia einbrachte. Aber der dachte ohnehin nicht daran, mit Lilly zu schäkern, denn er hatte nur Augen für seine Julia.
Mitte Juli erreichten der Treck den Chimney Rock, jenen einzigartigen Felsen mitten in Nebraska. Er galt als sicheres Zeichen, dass die Prärie bald in Ödland übergehen würde, wenn man es sich nicht anders überlegte und rechts nach Oregon abbog.
In der Tat hatten sich dazu einige Männer entschieden. Die bevorstehende wochenlange Durchquerung der Wüste machte ihnen Angst, und sie wollten lieber Farmer werden als zu verdursten oder zu verhungern.
Die Vegetation begann sich zu verändern, wurde spärlicher und das Gelände steiniger. In stiller Ehrfurcht betrachtete Julia den Chimney Rock zur Rechten, einen Sandsteinfelsen mit einer langen, schornsteinförmigen Spitze darauf, die ihm seinen Namen gegeben hatte.
Seit mehr als zehn Jahren hatten ihn Kolonnen von Siedlern passiert, voller Hoffnung und Zuversicht auf ein neues Leben in einem fremden Land.
Julia zog ihr Schultertuch enger um den Körper, denn am Himmel braute sich ein Unwetter zusammen. Tagelang hatte angenehmes Sommerwetter mit milden Temperaturen geherrscht; nun allerdings sah es ganz danach aus, als habe man eine Schlechtwetterfront vor sich. Der Wind wurde stärker und zerrte an Kleidung und Planen, doch an eine Pause war nicht zu denken.
»Geht nach hinten in den Wagen«, bot Nathan den beiden Frauen an. »Ich komme schon allein zurecht.«
Das ließ sich Lilly nicht zweimal sagen; behände sprang sie ab, um wenige Sekunden später wieder auf die Ladefläche zu klettern. Doch Julia blieb unverwandt sitzen und hielt sich mit einer Hand den Hut fest.
Auf Nathans fragenden Blick sagte sie: »Wenn du es hier draußen aushältst, kann ich es auch, nicht wahr?«
Er hob die Schultern, doch insgeheim bewunderte er Julia. Nicht ein einziges Mal während der ganzen Fahrt hatte sie geklagt oder sich tagsüber ausgeruht. Sie würde auch die Wüste und die Berge und weitere Strapazen schaffen, da war er sich ganz sicher. Aus dem schüchternen Großstadtmädchen war eine starke, belastbare Frau geworden.
Bitterkeit stieg in Nathan auf, als er sich daran erinnerte, dass die Frau seines Herzens bereits vergeben war. Dass Ross und Julia inzwischen ein Paar geworden waren, wusste jeder, auch wenn Julia nicht viel darüber redete. Doch sie strahlte von innen heraus, das war nicht zu übersehen. Bei jeder Rast traf sich das Paar, manchmal nahmen sie auch zusammen ihre abendliche Mahlzeit ein.
Als ein Windstoß Julias Schute erfasste, schrie sie erschrocken auf und riss Nathan so aus seinen Gedanken. Er sah nach oben und sagte: »Bald wird es anfangen zu regnen.«
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, fielen die ersten dicken Tropfen. Cramers Männer ritten an der Wagenreihe entlang und gaben den Befehl zum Anhalten an Ort und Stelle, denn der Regen würde schnell zu einem Unwetter ausarten.
Es war erst früher Nachmittag, doch so bedrohlich finster, als ginge es bereits auf den Abend zu. Mittlerweile goss es in Strömen und die Zugtiere gaben unwillige Laute von sich. Es hatte keinen Sinn, weiterzufahren, darin war man sich einig, obwohl die Zeit drängte.
Hastig wurden die Tiere ausgespannt, etwas abseits geführt und mit Decken gegen die Nässe behängt. Die Menschen sahen zu, dass sie ins Trockene kamen, und hofften, die gewachsten Segeltuchplanen ihrer Wagen würden den Regen größtenteils abwehren können.
Julia half Nathan mit den Tieren, die Krempe ihres Hutes hing ihr schlaff in die Stirn und sie hatte keinen trockenen Faden mehr am Leib. Nathan bemerkte ihr Zögern, als er ihr zurief, sie solle endlich in den Wagen steigen, doch dann entsann er sich und fügte mit innerer Verbitterung hinzu: »Na, mach schon, dass du zu Ross’ Wagen kommst!«
Ihre Miene erhellte sich kurz, doch dann schien sie das schlechte Gewissen zu plagen. »Aber ich möchte dich nicht bei diesem Wetter allein
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