Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
Parfüms, dem arktischen Odeur von Eiswürfeln sowie Zigarettenrauch, was
eine gewisse Umgehung der aktuellen Verordnungen nahelegte. Was hingegen
fehlte, war der Gestank von Schweiß. Sosehr das hier ein Ort sein mochte, an
dem die Leute trotz Klimaanlage ins Schwitzen gerieten, sie rochen nicht
danach. Wie auch immer sie das hinbekamen. Das ist vielleicht ein wesentlicher
Grund, daß viele Jugendliche in einem schlechten Verhältnis zu ihrem Elternhaus
stehen. Denn aus zahlreichen schönen Tierfilmen wissen wir, wie sehr
Elterntiere vor allem im Bereich von Horden und Herden auf den speziellen
Körpergeruch ihres Nachwuchses angewiesen sind, um das Eigene vom Fremden zu
unterscheiden. Doch welche Eltern sind heutzutage dazu noch in der Lage? Im
gleichen Maße, wie ihre Kinder nicht mehr riechen, haben sie selbst das Riechen
verlernt. Der Verlust des Körpergeruchs bringt alle auseinander. Bringt
freilich auch einige zusammen, wenngleich nicht die Eltern und die Kinder.
    Â»Kinder« ist vielleicht der falsche Begriff. Aber es waren doch
recht junge Leute, die sich in den unglaublich niedrigen Räumen drängten. Es
herrschte bei den Gegenständen und Personen ein Geflecht aus Elementen der
Neunzehnhundertsechziger- wie der Siebzigerjahre, natürlich nicht auf eine
antiquarische Weise, sondern so, als sei alles Teil einer tricktechnischen
Animation. Tapeten in Orange und Braun, Stühle aus weißem Kunststoff, Kitsch
von der Sorte barocker Wandleuchten, pyramidale Frisuren, mächtige Ohrgehänge,
kontrolliertes Untergewicht, comicartige Stilisierung. Die Decke, die in der
Höhe von Basketballspielern und Türstöcken endete (was das Durchschreiten der
wirklichen Türstöcke nicht gerade erleichterte), bestand aus olivgrünen
Metalleisten, durch deren Zwischenräume kalte Luft auf die erhitzten Häupter
blies. Die Tanzenden wirkten auf eine steife Weise exaltiert, wie wenn jemand
ein Gift schluckt, aber mittels einer komplizierten Art des Schluckens die
tödliche Wirkung aufhebt. Twist ist so ein Tanz.
    Ich war erstaunt, wie viele schicke Leute es in Singen gab. Die
jungen Frauen und Männer wirkten ungemein stilsicher und modebewußt. Auch
arrogant. Ich spürte die Arroganz, während ich mich durch das bewegte Gewirr
der Körper preßte. Nicht etwa, weil diese Arroganz mir gegolten hätte. Für diese Jungs und Mädchen hier war ich Luft beziehungsweise
pure Luftverdrängung. Nein, deren Dünkel existierte per se. Gegen alles und
jeden gerichtet, vor allem gegen das Leben. Arroganz als zweite Haut, als
kühlende Zone zwischen der körpereigenen Folie und den edlen Textilien. Darum
stinken diese Leute auch nicht. Wenn sie ein Deodorant benutzen, dann nur, um
ein Bild zu erhalten. Um eine Hygiene vorzuschieben, die sie gar nicht nötig
haben. Sowenig wie eine Klimaanlage. Die also bloß darum besteht, um Schnupfen
zu verursachen.
    Im dritten und letzten Raum kam ich an eine Theke, die sich über die
gesamte rückwärtige Längsseite spannte. Von oben bis unten schwarzes Glas.
Selbst die Trinkgläser in Schwarz, die Regale, die Spiegel, die Aschenbecher.
Zwei Frauen in paillettenbestickten Kostümen servierten, wobei sie vor dem
dunklen Hintergrund nur schwer auszumachen waren. Sie verschwammen mit der
extremen Spiegelung des Ambientes, ihrerseits eine einzige Reflexion bildend.
Man hätte sich fragen können, wo die weiße Haut ihrer Gesichter und ihrer
nackten Arme geblieben war …
    Ich drückte mich zwischen zwei Männer und gab ein Zeichen in
Richtung der ungefähren Position einer der paillettierten Frauen. Kein
bestimmtes Zeichen. Immerhin konnte ich davon ausgehen, daß man mich erwartete
und daß ich durch mein Aussehen, ein Opa unter geruchlosen Jungtieren, auffiel.
Und in der Tat wurde ich gebeten, durch einen schmalen seitlichen Spalt hinter
die Theke zu treten. Ich stand nun selbst im Schwarz. So würde es bald jeden
Tag sein, da oben im Weltraum, auf meiner Reise nach X.
    Jetzt aber öffnete sich zwischen den gläsernen Regalen eine Türe,
und eine der Frauen schob mich in den dahinterliegenden Raum. Die Türe wurde
geschlossen, und erneut war – wie mit einem Schnitt – jedes Geräusch
verschwunden. Bloß irgendein Gebläse war zu hören. Und leise Musik. Allerdings
keine Musik von draußen. Andere Musik. Glasklare Töne von der Art, die so leise
gar nicht sein

Weitere Kostenlose Bücher