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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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können, daß man nicht die Stiche spürt, die sie verursachen. Ich
glaube, es war…Schönberg. Oder Berg? Ich bin kein Fachmann für solche Dinge.
Ich kann mich nur an einen bemerkenswerten Satz von Adorno erinnern, wo er
sagt, Schönberg hätte Berg um seine Erfolge beneidet und Berg Schönberg um
seine Mißerfolge. Typisch für diese Wiener. Wenn jemand anders Schimmel auf
seinem Brot hat, wollen sie auch Schimmel. Sie lassen den Schimmel vergolden
oder schreiben eine Abhandlung darüber. Aber die Musik, die dabei entsteht –
das muß man zugeben –, ist nicht ganz uninteressant.
    Ich sah mich um. Es war nicht sehr viel heller als im
Schwarzglasbereich der Theke. Nirgends ein Fenster. Eng und stickig. Wände aus
grauem Schaumstoff. In der Mitte ein Biedermeiertisch mit grüner Filzauflage
und einer Tischlampe als einziger Lichtquelle. Hinter dem Tisch eine Frau, wie
man sagt: Am Ende der Straße wurde es doch noch gefährlich.
    Ich erkannte sie nicht gleich. Aber daran war das schwache Licht
schuld. Als ich jetzt näher trat und meinen Blick schärfte und sich in meinem
Gehirn eine kleine Entzündung bildete, da wurde mir bewußt, daß es Claire war,
die hier saß und mich aus grauen Augen fixierte, als stehe ich in einer Auslage
und würde einige Mängel durch den günstigen Preis ausgleichen. Ich habe diesen
Blick nie ausstehen können. Was keine Kleinigkeit ist, wenn man bedenkt, wie
lange ich mit dieser Frau in einem Raumschiff eingesperrt gewesen war. Ja, sie
gehörte zu jenen Agenten erster Klasse, mit denen ich vor über fünf Jahrzehnten
auf der Erde gelandet war. Wie schon einmal dargelegt, wäre ich heute kaum noch
in der Lage, einen von ihnen wiederzuerkennen. Doch bei Claire ist das anders.
Einerseits wegen ihrer kalten Schönheit, aber vor allem wegen ihrer
einprägsamen Dominanz, einer Dominanz, die alles durchdringt, jedes Material
und jede Person perforiert. Perforiert und brandmarkt.
    Obwohl damals, beim Aufbruch von X, jemand anders das Kommando
innegehabt hatte, war es Claire bald gelungen, die Führung zu übernehmen. Ohne
Gewalt, ohne Rebellion, sondern mit der puren Überlegenheit einer Mutter, die
nun mal bestimmt, wer wann schlafen geht. Und wann am Morgen der Wecker läutet
und wie lange die Zähne geputzt werden.
    Â»Ich hätte nicht gedacht«, sagte ich, »dir nochmals zu begegnen.«
    Â»Kein Grund, so ein trauriges Gesicht zu machen«, erwiderte sie und
gab mir mit einer Bewegung ihres langen, weißen, baronesken Arms zu verstehen,
mich zu setzen. Weder im Stil einer Einladung noch eines Befehls. Sondern eines
Vollzugs. Claire gehörte zu diesen Leuten, die die Zukunft einlösten. Die ihre
Mitmenschen zum nächsten benutzten Teegedeck schoben.
    Ich nahm also Platz, lockerte ein wenig meine Krawatte und zeigte
mich verwundert, daß Claire ausgerechnet in Singen gelandet war.
    Â»Nicht richtig«, antwortete sie. »Die meiste Zeit bin ich in Wien.«
    Â»Ach was!? Da komme ich gerade her.«
    Â»Ich weiß.«
    Â»Verstehe. Du kontrollierst das Ganze.«
    Â»Ich sehe zu, daß jeder seine Aufgabe erfüllt. Und keiner vergißt,
daß wir hier nicht zum Spaß sind. Manche vergessen das nämlich im Laufe der
Jahre. Sie gewöhnen sich an ihr kleines Leben und vernachlässigen ihren
Auftrag.«
    Â»Würde ich das tun«, erklärte ich, »säße ich nicht hier.«
    Â»Säßest du nicht hier, hätte ich schlechte Arbeit geleistet.«
    So war Claire halt. Ich ließ es mir gefallen. Fragte nun aber – meine
Ängstlichkeit zwischen die verbissen verschränkten Arme geklemmt –, ob Claire
ebenfalls mit nach X reisen würde.
    Sie sagte: »Dann hätte ich dich nicht herbestellen müssen, um dir
den Picasso zu geben.«
    Â»Stimmt.« Die eingeklemmte Angst löste sich in Erleichterung auf.
»Und wo ist das Bild?«
    Claire griff neben sich und zog aus dem Dunkel eine metallene Röhre
hervor, die sie vor mich auf den Tisch legte. Die Röhre war verschweißt.
    Â»Ich hätte das Bild gerne gesehen«, sagte ich.
    Â»Wieso? Machst du neuerdings in Kunstgeschichte?«
    Â»Da drinnen könnte alles mögliche sein.«
    Â»Wenn es dir ein Bedürfnis ist, dann schweiß es bei dir zu Hause auf
und sieh nach. Mir ist das egal. Hauptsache, du bist pünktlich mit den beiden
Dingern am Mount

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