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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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wenn man zu
denen zählte, welche die Monroe als eine der ganz großen Schauspielerinnen
empfanden. Und das taten meine Frau und ich in gleichem Maße. Daß Maritta in
diesem einen Punkt jedoch unwissend bleiben würde, änderte nichts an der
Bedeutung und Symbolik. Auch das habe ich auf der Erde gelernt. Die Magie des
Sinnlosen zu erkennen. Wie wichtig gerade die Dinge
sind, die jemand nicht weiß.
    Maritta steckte sich den Ring an den Finger und betrachtete ihn wie
das Kind, das uns nicht vergönnt gewesen war. Ich spürte das Strahlen, das tief
in ihr vonstatten ging.
    Sie legte ihr Kinn – eine Verlegenheit freundlich spielend – auf der
eigenen Schulter ab und sagte: »Ich würde dir gerne um den Hals fallen. Aber
nicht vor all den Leuten. Doch ich sage dir eines: Mein Herz gehört dir.« Und
gleich darauf, belustigt: »Du siehst, wie bestechlich ich bin. Für einen
Diamantring bin ich bereit, mein Herz zu verschenken.«
    Ich lachte und sagte: »Erinnerst du dich an den Film mit der Monroe
und Jane Russell?«
    Sie hob ihr Kinn wie ihre Stimme leicht an und sang: »Diamonds are a
girl’s best friend.«
    Â»Wir sollten ihn uns wieder mal anschauen«, schlug ich vor.
    Â»Genau das sollten wir«, antwortete sie.
    Bitterkeit! Ich empfand tiefe, schwarze, stechende Bitterkeit.
Verzweiflung…und – mit einem Mal –
ein Gefühl des Aufbegehrens. Ein Gedanke flammte. Ich fragte mich, inwieweit es
möglich wäre, das Schicksal zu provozieren. Eine Roulettekugel zu werfen. Und
sodann die kaum durchschaubaren Gesetze walten zu lassen, denen diese Kugel im
rotierenden Kessel der Glücks- und Unglücksmaschine ausgeliefert war.
    Ich sah mich um. An einem der benachbarten Tische saß eine Gruppe
von arabisch aussehenden Männern und Frauen. Sie trugen alle Schipullover, wie
die meisten hier, mit so einem skandinavischen Muster, irgendwelchen
stilisierten Rentieren und Schneekristallen. Ich fand es ziemlich
niederträchtig, wenn Menschen, die es in keiner Weise nötig hatten, den Globus
bereisten. Aus Langeweile und Anmaßung und Naturverachtung. Aus
Gottesverachtung sowieso. Anders war das bei armen Leuten, denen selten viel
mehr übrigblieb, als eine Heimat, die ihnen weder Arbeit noch Perspektive bot,
zu verlassen, um dann irgendwo auf der Welt den Bessergestellten quasi den
Hintern auszuwischen. Aber diese Typen hier, die aus irgendeiner verdammten
Wüste Öl herauspumpten, oder welch gutgehende Geschäfte sie auch immer trieben,
was hatten die auf einem amerikanischen Berg zu suchen? Warum trugen sie Norwegerpullover
und tranken kalifornischen Wein? Warum sahen sie so unverschämt zu unserem
Tisch herüber und gafften meiner Frau ins Dekolleté?
    Nun, natürlich hätte man sich ebenso fragen können, ob ein solcher
Vorwurf – das Schifahren von Arabern in Oregon – nicht genausogut auf eine in
Botnang ansässige Allgemeinmedizinerin anzuwenden war. Ganz zu schweigen von
einem Alien, das von der anderen Seite des Sonnensystems herstammte. Zudem
hätte man den Blick eines dieser Männer vielleicht dahin gehend deuten können,
daß er weniger den Ausschnitt Marittas betrachtete, sondern sich seinerseits
gemustert fühlte. Nämlich von mir.
    Und es war ja auch der Fall, daß ich mit dunkler werdender Miene
hinüber zu dem Tisch schaute und diesen einen Mann fixierte, einen vielleicht
dreißigjährigen, großen und breitschultrigen Menschen, der gleich einer
gewollten Narbe die hochnäsigen Züge seiner Kaste trug.
    Tatsächlich unterhielten sich die Leute an diesem Tisch in einer
arabischen Sprache. Ebenso war davon auszugehen, daß sie bestens das Englische
beherrschten. Vielleicht auch Französisch. Aber absolut nichts wies darauf hin,
daß einer von ihnen, auch nicht der von mir Angestarrte, des Deutschen mächtig
sei.
    Und genau diese Unsicherheit – diese eher erhebliche Unsicherheit –
bildete das notwendige Handikap. Denn wenn man sich von Gott eine Hilfe,
zumindest einen Fingerzeig erwartet, kann man nicht den untersten
Schwierigkeitsgrad wählen. Im Gegenteil.
    Hätte ich jetzt begonnen, meine geplante Flegelei in englischer
Sprache zu exekutieren, wäre das gewünschte Ergebnis viel zu naheliegend
gewesen, um von einem Zeichen sprechen zu können. Von einer Willentlichkeit des
Schicksals. Einem göttlichen Einsehen. Darum mußte es Deutsch

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