Gewitter über Pluto: Roman
eingefügt war, ein Ding wie aus einem
Kaugummiautomaten. Ihre Schuhe waren hoch und von einer bikiniartigen
Knappheit. Sie stand perfekt darauf, und sie bewegte sich perfekt damit. Es war
deutlich zu erkennen, daà man sie von diesen Schuhen nicht würde
herunterschieÃen können.
Hätte man Claire Montbard mit einer berühmten Persönlichkeit
vergleichen müssen, hätte man sagen können: eine Mischung aus Jeanne Moreau,
Jerry Hall und Buster Keaton (der Augen wegen, die nie mitlachten, selbst wenn
der Mund sich noch so verbog). Dieser Mund sagte jetzt: »Sie sind ganz schön
mutig.«
»Einige«, erwiderte Lorenz, »würden wahrscheinlich sagen, ganz schön
blöd.« Er war von einem dünnen, blassen, völlig harmlos anmutenden Mann ins
Zimmer geführt worden. Sicher nicht jener, der ihn am Telefon als
Schwanzlutscher tituliert hatte.
»Es gibt Leute«, äuÃerte Montbard, »die meinen, ich würde die Seelen
der Leute, die mir Geld schulden, zur Jause verspeisen.«
»Ich wüÃte nicht«, gestand Lorenz, »wie Seelen schmecken.«
»Ich auch nicht. Aber wie gesagt, die Leute glauben es.«
Sie zeigte hinüber zur Veranda, auf die man sich jetzt begab und
Platz nahm auf alten Korbstühlen, aus denen ein Ãchzen drang. Greise Möbel, die
man nicht sterben lieÃ. Nach vorn hin lag eine kleine Wiese, teils im grellen
Licht der soeben durch die Wolken gebrochenen Sonnenstrahlen, teils im Schatten
der WeiÃtannen. Ein Mann mit einer dunkelblauen Schürze und einem karierten
Flanellhemd kniete vor einem Blumenbeet, in dem er verbissen herumstocherte.
Ansonsten war niemand zu sehen. Vor allem war nichts zu hören, nichts vom
Verkehr, der in dieser Stadt wütete und Bänder zerriÃ, nur das Geräusch eines
kleinen steinernen Springbrunnens, aus dessen Mitte zwei in sich verkrallte
Löwen ragten, aus deren aufgerissenen Mündern dünne Fontänen drangen. Zwei
Vögel saÃen im Becken und beutelten ihr nasses Gefieder.
»Idyllisch hier«, kommentierte Lorenz.
»Ein biÃchen primitiv«, meinte Frau Montbard, die übrigens keine
Französin war, sondern, wie es hieÃ, aus Polen stammte. »Wenn man in der Nacht
im Bett liegt und der Wind geht, meint man, man sei im Freien. Dieses Haus ist
eine durchlässige Wabe. Nicht, daà ich es wirklich herrichten möchte. Das wäre
vermessen. Ich gehe ja schlieÃlich auch nicht zum Arzt, um mir das Alter aus
dem Gesicht operieren zu lassen. Ich denke, ich werde mit diesem Haus zusammen
sterben, oder das Haus mit mir. Wahrscheinlich wird es die Zugluft sein, die
mich am Ende umbringt: Ich sterbe an einer Lungenentzündung, während das Haus
auseinanderfällt. â Aber darum sind Sie nicht hier, um sich meine
Todesphantasien anzuhören. Also, Herr Mohn, reden Sie.«
»Sie wissen ja, womit ich bisher mein Geld verdient habe.«
»Auch nur ein Beruf. Nichts, wofür Sie sich genieren müÃten.«
»Das sehe ich genauso. Doch jetzt ist eben SchluÃ. Mit vierzig
reicht es, gleich, wie gut man in Form ist. Wie Sie gerade sagten, man kann
sich dem Alter nicht versperren. Die ganze Trickserei ist unwürdig und
unsinnig. Ich kann nicht Liegestütze machen, bis praktisch nur noch die
Liegestütze übrigbleiben. Sie verstehen mich, oder?«
»Natürlich«, sagte Montbard, während sie hinüber zu dem Gärtner sah.
Lorenz fuhr fort zu berichten. Zwar verzichtete er darauf,
darzulegen, wie genau er auf die Idee gekommen war, ein Handarbeitsgeschäft zu
gründen, erklärte aber, daà es für ihn keine Alternative dazu gebe. Er sagte:
»Für manche Dinge ist man geboren.«
»Ganz sicher ist man das«, bestätigte Montbard. »Fürs
Klavierspielen, für die Gärtnerei, dafür, ein Versager zu sein, im Krieg zu
sterben, im Bett zu sterben, vielleicht sogar für die Pornographie. Doch ein
Handarbeitsladen? Wie kann man dafür geboren sein? Ich meine, jemand wie Sie?«
»Nicht jede Begabung ist eine offenkundige.«
»Verstehe ich Sie richtig? Sie meinen, Sie seien auf eine verborgene
Weise mit dem Talent des Strickens ausgestattet?«
»Nicht des Strickens«, sagte Lorenz. »Nur dafür, dieses Geschäft zu
betreiben. Ich habe bereits den richtigen Laden gefunden. Er ist perfekt.«
»Und jetzt wollen Sie, daà ich Ihnen diese Schnapsidee
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