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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Arme
genommen wurde. Sie galt als ein Genie. Und ein Genie wurde nun mal mit
Vorliebe berührt. Als wäre Genialität ein Bakterium.
    Darum sagte Lorenz jetzt auch: »Wahrscheinlich hat der depperte
Franzos’ es nötig, die Lou abzuschmusen.«
    Â»Wie meinst du das?« fragte Sera unter der dunklen Wolke eines
strengen Blicks.
    Doch Lorenz wich aus, drehte sich kurz weg, kam wieder zurück und
erklärte, daß er leider am Abend beschäftigt sei.
    Â»Wieso beschäftigt?« zeigte sich Sera überrascht. Sie war einen in
auswärtigen Dingen engagierten Ehemann einfach nicht gewohnt.
    Â»Das hat mit heute morgen zu tun«, antwortete er. »Die alte
Geschichte, von der ich sprach. Sei nicht bös, aber ich will dich damit nicht
belasten.«
    Â»Muß ich Angst um dich haben?«
    Â»Nein«, log Lorenz. »Es ist eine Verpflichtung. Nichts Aufregendes.«
Und dann sagte er doch tatsächlich: »Nichts, was einen umbringt. Mach dir einen
netten Abend mit Lou, und morgen ist dann alles wieder beim alten.«
    Sera spürte, nein sie wußte, daß Lorenz nicht die Wahrheit sagte.
Daß etwas ihn bedrückte und durchaus Grund zur Sorge bestand. Aber sie war viel
zu klug, eine Angelegenheit, die wahrscheinlich durch nichts leichter werden
würde, mittels Drängen noch schwerer zu machen. Also gab sie Lorenz einen Kuß
auf die Wange und begab sich nach hinten ins Lager, wo eine neue Lieferung
außerirdisch schöner israelischer Zwirne wartete.
    Nachmittags war Lorenz dann wie gewohnt alleine im Geschäft,
bediente in der bekannt ruhigen, freundlichen, den Charme in vernünftigen Dosen
versprühenden Weise seine Kundschaft, empfing einen Vertreter für Nähmaschinen,
telefonierte wegen einer Weinlieferung (das Ausschenken von Wein an die
Stammkundinnen stellte ein von diesen Kundinnen so streng gehütetes wie offenes
Geheimnis dar) und schloß wie immer um achtzehn Uhr seinen Laden. Eine spätere
Stunde wäre ihm unchristlich erschienen, maßlos und unwürdig gegen den Rhythmus
von Tag und Nacht, Arbeit und Ruhe, Handeln und Denken.
    Ja, die Abende waren eigentlich dem Denken gewidmet. Schade, daß es
diesmal anders sein würde. Er ging nach oben in die Wohnung, duschte, schlief
eine halbe Stunde und erwachte mit dem schrecklichen Gefühl, eine Prüfung vor
sich zu haben, deren einziger Sinn und Zweck darin bestehen sollte, sich ein
»nicht genügend« abzuholen. Er wechselte hinüber ins Badezimmer, wo er erstens
ein seine Nerven beruhigendes Medikament schluckte und zweitens die rechte
Backe und den rechten Hals mit einem Eau de Cologne benetzte. Beides zusammen,
Wunderwasser und Wundertablette, halfen ihm, seine gerade Haltung
wiederzufinden. Er zog sich an. Wenn nötig, bekam er das auch ohne Sera
vollständig hin. Er bediente die linke Seite wie im Traum. Als träumte er sein
altes Leben. Nur den einen Manschettenknopf vergaß er.
    Lorenz verließ das Haus früher als nötig, solcherart Sera
ausweichend. Er wollte ihr jetzt nicht über den Weg laufen. Er wollte nicht das
Gefühl haben müssen, sich auf ewig von ihr zu verabschieden. Ein letzter Kuß,
eine letzte Berührung, ein letztes Hinterherschauen. Und dann: Vorhang! Er
mochte Vorhänge so wenig wie Taxis. Auch Vorhänge waren in der Regel vergiftet.
    Also spazierte er durch die Gegend, seine Gegend, die Rosmalengegend, in der er sich nie verirrte, weil er praktisch
sämtliche Teile, einschließlich der jeweils linken, von ihrer rechten Seite her
kannte und auf diese Weise die Topographie dieses Orts in ein neglectisches
Modell verwandelt hatte.
    Erst als seine Uhr eine halbe Stunde vor neun zeigte, stieg er, eine
vorbereitete Wegzeichnung in der Hand, hinunter zur U-Bahn und bewegte sich
somit aus seiner Idylle hinaus.
    Trotz Kölnischwasser und Glückspille dachte er: »So, jetzt gehe ich
sterben.«

25  |  Viel Holz
    Es war wirklich viel Holz in diesem Restaurant. Etwa die
Ausschank, die man, gleich einem schottischen Schloß in Amerika, aus einem
alten Wirtshaus herausgerissen und hier wieder aufgestellt hatte; die dunklen
Tische und Sessel, die Wände und Bänke, wobei letztere an die Deckel
geschlossener Klaviere erinnerten; selbst der Plafond war mit rötlichbraunen,
dank einer Glasur stark glänzenden Latten ausgelegt. Das ganze Lokal besaß
einen ausgesprochen französischen Charme mit seinem Zuviel

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