Gewitter über Pluto: Roman
Liebe aufzutauchen, wobei jedoch alle
wuÃten, daà Lorenz absolut treu war und es völlig sinnlos gewesen wäre, ihn aus
dieser Treue herauslocken zu wollen. Andererseits muà gesagt werden, daà eine
solche absolute Treue ohnehin das Attraktivste an einem Mann war, was sich
Frauen vorstellen konnten. Obgleich ihnen ein derartiger Mann lebenslänglich
versperrt blieb, gab es nichts Schöneres und Edleres, nichts, was sie so sehr
betörte. Hätten sie freilich solch einen Mann ins Bett bekommen, wäre alle
Magie zerstört gewesen. Denn ein Prinz, der sich als verzauberte Kröte
herausstellt, ist selbstverständlich eine Enttäuschung.
»Alles okay mit dir?« rief Sera, wobei sie abgewartet hatte, bis
Lorenz hinter die Theke gegangen war und dabei eine Drehung vollzogen hatte,
dank derer sie selbst nun rechts von ihm stand.
Er sah zu ihr, als hätte er sie eben entdeckt, was ja genau der Fall
war, und meinte: »Ich hatte eine alte Geschichte zu erledigen.«
Mehr sagte er nicht. Und Sera unterlieà es nachzuhaken. Vertiefte
sich wieder in das Gespräch mit einer Kundin, einer alten blinden Dame, die im
ganzen Viertel für ihre handgeknüpften Teppiche berühmt war. Währenddessen
stellte Lorenz eine Schale unter den Kaffeeautomaten und bat die Maschine mit
sanftem Fingerdruck um einen doppelten Espresso.
Kurz darauf betraten zwei weitere Stammkundinnen das Geschäft,
marschierten routinemäÃig nach links und kamen somit ebenfalls auf der von Lorenz
gesehen rechten Seite zu stehen. â Wenn man bedachte, daà laut
wissenschaftlichen Untersuchungen Frauen in verblüffender Mehrzahl dazu
tendierten, beim Betreten eines Warenhauses sogleich nach rechts zu schwenken,
so kann man sagen, daà die Welt sich in Plutos Liebe als eine verdrehte erwies. (Im Gegensatz zu einem weitverbreiteten Klischee,
können Frauen überaus flexibel sein, sie müssen nur einen guten Grund dafür
haben. Männer dagegen sind in der Lage, die Richtung zu wechseln, ohne zu
wissen, warum oder weshalb. Der Richtungswechsel an sich bereitet ihnen Freude. Flexibilität als Sport. Schön, aber blöd.)
Nachdem alle Kundschaft bedient war und Lorenz und Sera wieder alleine
waren, half Sera ihrem Mann in den linken Ãrmel seines Jacketts, welcher in
scheinbar lässiger Weise seit dem Morgen über seinem Rücken gebaumelt hatte.
Auch dies gehörte zu ihren Aufgaben als Ehefrau: der linken Körperseite ihres
Mannes jene Aufmerksamkeit zu schenken, die Lorenz selbst dieser Körperseite
nicht geben konnte. Etwa darauf zu achten, daà die linke Wange rasiert, der
linke Schnürschuh gebunden war, hin und wieder die Nägel der linken Hand
geschnitten wurden und etwa im Falle einer linksseitigen Verletzung eine
Reinigung der Wunde erfolgte. Nicht, daà Lorenz überhaupt nichts von alldem
bemerkte, was auf seiner eigenen linken Flanke geschah, er empfand dies jedoch
eher wie eine Einbildung, etwas, auf das ein in der Normalität des Neglects lebender
Mensch nicht wirklich reagieren konnte. Hätte er es getan, wäre ihm das
vorgekommen, als unterhalte er sich mit einem unsichtbaren, zwei Meter groÃen
Hasen zu seiner linken Seite. Der Hase mochte ja da sein, aber mit ihm auch zu
reden, das wäre dann schon Ausdruck einer ziemlichen Verrücktheit gewesen.
Ob dies alles freilich so weit ging, daà Lorenz entgegen der
üblichen Nasenatmung (weil ja der Homo sapiens im Viertelstundentakt
automatisch die Nasenlochseite wechselt) ausschlieÃlich durch sein rechtes
Nasenloch atmete, blieb unbekannt. Hingegen war es eine Tatsache, daà er nur in
seiner rechten, nie in seiner linken Achsel richtig schwitzte. Wie auch, wenn
links nichts geschah, was ihn hätte aufregen oder anstrengen können?
»Heute abend«, begann Sera und legte ihr Kinn in einer kosenden
Weise auf Lorenzâ rechter Schulter ab, »ist Lou zum Essen hier. Sie kommt
direkt aus Paris. Du weiÃt, die Eröffnung. Es soll schrecklich gewesen sein.
Der Staatspräsident hat sie auf den Mund geküÃt.«
»Pervers, der Kerl«, kommentierte Lorenz.
»Wobei Lou wirklich einen schönen Mund hat«, meinte Sera, die,
entgegen ihrer zumeist sehr realistischen Sicht des Lebens, die eigene
Schwester gerne in einem rosigen Licht betrachtete. Aber es war schon richtig,
daà Lou wegen ihrer Berühmtheit häufig von Politikern zumindest in die
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