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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Wiener nicht Kultur, sondern schlichtweg Unkraut. Sodaß also für einen
Moment der Verdacht im Raum gestanden hatte, ein Unkraut produzierender
Deutscher würde eine der besten gastronomischen Adressen der Stadt übernehmen.
    Dann allerdings war rasch ruchbar geworden, daß Soonwald ein enger
Freund oder Berater oder sogar Kompagnon von Claire Montbard war, einer Frau,
deren eigentliche Funktion zwar ebenfalls recht nebulös blieb, über die zu
lächeln indes keiner in dieser Stadt gewagt hätte. Ihr Ruf war vergleichbar dem
einer Kriegsgöttin, die ja zur Not auch den Frieden begünstigen konnte, wenn sie
denn wollte. Wie auch immer, das Gerücht einer Verbindung zwischen Montbard und
Soonwald hatte rasch zur Reputation des Neulings geführt. Einer Reputation, die
sich noch dadurch steigerte, daß Soonwald die bisherige umfangreiche
Speisekarte abschaffte, erst recht die nicht minder umfangreiche Weinkarte und
nur noch einen roten Hauswein, einen weißen Hauswein sowie eine einzelne
Tagesspeise anbot. Nicht etwa ein ganzes Menü, sondern wirklich nur ein bestimmtes Gericht, welches wesentlich vom Charakter
sogenannter Hausmannskost dominiert wurde, in keiner Weise also mit jener nasalen
Kochkunst zusammenhing, die ihren Höhenpunkt dadurch erfährt, möglichst wenig
Dinge über möglichst große Teller zu verteilen. Wodurch weniger ein Essen
stattfindet als die Vorstellung von einem Essen, mehr ein Essen im Kopf als ein
tatsächliches.
    Im Prinzipal hingegen waren die Portionen
so ausreichend, daß sich eine unendliche Folge verschiedener Gänge als unnötig
erwies, um ausgewachsene Männer und Frauen satt zu machen (und Prominenz ändert
ja nichts am grundsätzlichen Zustand des Ausgewachsenseins wie des
Hungrigseins). Freilich war es so, daß diese jeweilige Tagesspeise, gleich ob
geröstete Leber, Hirn mit Ei oder Schlutzkrapfen, so teuer war wie ein
umfangreiches Menü. Aber die Gäste zahlten gerne. Zum einen, weil die wenigsten
dazu ihr eigenes Geld verwendeten (das wäre ihnen geradezu unanständig
erschienen), und zum anderen war die Küche im Prinzipal wirklich hervorragend. Soonwald hatte irgendein altes Weibchen hinter den
sieben Bergen hervorgezaubert, oder wenigstens in Tschechien oder Rumänien aufgetrieben,
auf jeden Fall eine Meisterköchin nach Wien geholt. Vielleicht auch eine böse
Hexe. Fakt war, daß diese Frau alles, was sie zubereitete, mit einer eigenen
Gewürzmischung versetzte, welche den Namen Fanta trug. Das hatte natürlich nichts mit dem gleichnamigen Getränk zu tun. – Womit
dann? Nun, das wußte niemand. Und Soonwald schwieg. Ebensowenig bekam man seine
famose Köchin je zu Gesicht. Sie blieb in ihrer Küche, unterstützt von einer
einzigen Hilfe, einer leicht behinderten jungen Frau, die man ab und zu beim
Zigarettenrauchen im Hof traf. Und dank derer man wenigstens den Eindruck
gewinnen konnte, daß richtige Menschen in dieser Küche standen. Und nicht etwa
Zwerge, die es ja in der Zwischenzeit zu einiger Berühmtheit gebracht hatten.
    Soonwald selbst tat nicht viel mehr, als daß er einfach anwesend war
und sich mit einigen bevorzugten Gästen unterhielt, wobei sich die Bevorzugung
daraus ergab, daß jemand intelligent und gebildet genug war, Soonwalds
Ausführungen zu Fragen der Literatur oder ähnlich Schöngeistigem folgen zu
können. Die Bedienung der Gäste hingegen überließ der Chef völlig seinen
Angestellten. Das kriegten die schon alleine hin. Sie waren übrigens berühmt
für ihre weißen, überaus steifen Schürzen, die weniger herunterhingen, als daß
sie herunterstanden, hart und glänzend wie Marmor. Und hinter den Schürzen
schöne junge Menschen, jedoch kalt und ausdruckslos. Von den Mädchen hieß es,
sie seien alle Lesben und die Burschen alle schwul. Jemand Betrunkener sagte
einmal sehr richtig: »Ich glaube viel eher, die sind alle tot.«
    Das soll jetzt nicht heißen, daß die Stimmung im Prinzipal eine frostige war. Ganz im Gegenteil. Kaum ein Ort in dieser Stadt durfte als
gemütlicher gelten, zumindest für Leute, die ansonsten in Firmenzentralen und
Parteizentralen, in Fernsehstudios und im unbarmherzigen Blitzlicht ihr Dasein
fristeten. Ständig herrschte eine große Ausgelassenheit, nicht selten
wechselten einzelne Gäste die Tische, sodaß kleine wie große Runden

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