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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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an Gegenständen –
den enggestellten Tischen und aufwendigen Gedecken –, seinem warmen Licht und
der Noblesse, die sich daraus ergab, echte Kunst und minderwertigen Kitsch so
nebeneinander zu plazieren, daß nicht mehr klar herauskam, was hier was war.
Das galt vor allem für die zahlreichen Bilder an den Wänden, die da dicht
gedrängt den Eindruck hinterließen, die Künstler hätten vor Urzeiten damit ihr
Essen bezahlt. Ja, hier hingen tatsächlich kleine Meisterwerke von Braque und
Picasso, ferner Österreichisches, die üblichen belanglosen, dafür gut
wiedererkennbaren malerischen Kulinarien von Rainer und Nitsch, aber ebenso ein
ganz wundervolles Londonbild von Gustav Thöny, das umgeben war von
schrecklichen Pastellen, wer auch immer die verbrochen hatte.
    Leider war es nun so, daß alles zusammen zu einer Tapete bohemienhafter
Verwicklung verschwamm, und nur besonders aufmerksame Betrachter stellten fest,
daß etwa gleich neben der Klimt-Fälschung – es gibt ausschließlich Fälschungen
vom Klimt, weil nämlich Klimt nie gelebt hat, sondern eine Erfindung der
österreichischen Kunsthändler ist –, daß also neben dieser kleinen, blassen
Zeichnung ein durchaus kraftvoller, wenn nicht sogar erstaunlich grob zu
nennender Scherenschnitt einer höchst angesagten Künstlerin namens Lou Bilten
hing. Ein Scherenschnitt als wuchtig hingeworfene Skizze, mehr die Schere, mit
der sie geschaffen wurde, porträtierend als sonstwas. Ein echtes Glanzstück,
das allerdings kaum jemand bemerkte. Denn wie gesagt, man kam ja gerade darum
hierher, weil sogar ein echter Picasso im Gewirr der Dekoration unterging und
sich der allgemeinen Atmosphäre unterordnete. Einer Atmosphäre, die sich aus
der massiven Selbstüberschätzung der Gäste ergab, Leute, denen das Betreten
dieses Lokals als ein deutliches Zeichen ihres exklusiven Rangs erschien. Ein
deutlicheres gab es in dieser Stadt kaum noch. Denn es nützte ja nichts, wie
das sonst üblich war, jemanden zu kennen, der jemanden kannte und so weiter.
    Im Prinzipal tickten die Uhren anders.
Hier bestand ein mysteriöses System, das dazu führte, daß manche Leute selbst
in höchsten Positionen keine Chance bekamen, je dieses Lokal zu besuchen. Da
konnten sie Männchen machen, soviel sie wollten. Der Chef dieses Restaurants
bestimmte mit der gleichen Entschlossenheit, wie man das wohl bei der eigenen
Wohnung tun würde, wer sein Lokal frequentieren durfte und wer nicht. Natürlich
waren es fast nur Leute der höheren Gesellschaft, die hier ein und aus gingen,
aber die Selektion, die der Manager betrieb, irritierte und verstörte dennoch.
Eigentlich widersprach sie den guten Sitten, nicht zuletzt dem Gesetz. Etwa das
unausgesprochene, nichtsdestoweniger allgemein bekannte Lokalverbot für den
amtierenden Bundespräsidenten oder das für den Direktor der Albertina und damit
Bewahrer der größten Sammlung von Fälschungen, nicht nur von Klimt-Fälschungen,
in Europa. Auch bekannte Vorstände, Schauspieler, Sportler, Wissenschaftler
oder hohe Beamte gehörten zu den Verbannten. Und es ging das Gerücht um, daß
dies darum so war, weil diese Leute einfach nichts zu sagen hatten und ihre
Macht in Staat und Gesellschaft nur eine scheinbare war, sie jedenfalls in
keiner Weise dazu qualifizierte, einen Abend im Prinzipal zu verbringen.
    Klaus Soonwald hatte sieben Jahre zuvor die Leitung dieses
Restaurants übernommen. Er war in den hiesigen Kreisen völlig unbekannt
gewesen. Ein Mann aus Deutschland, hatte es geheißen, wie man sagt: Das Unglück
ist ein Pferd. – Warum ein Pferd? möchte man fragen. Aber für Leute, die einmal
von einem Pferd gefallen sind, stellt sich diese Frage nicht.
    Soonwald hatte weder als versierter Gastronom gegolten noch als Mann
der oberen Zehntausend. Und der Umstand, daß er in seiner alten Heimat als
Herausgeber des »Schwäbischen Bürgerblattes für Verstand, Herz und gute Laune«
fungiert hatte, hatte eher zu einem abfälligen Lächeln geführt. Die Wiener
Gesellschaft fühlte sich zwar als Inbegriff einer kulturellen Wesenheit, meinte
damit jedoch in erster Linie den Besuch eines Theaters oder das Theater eines
Besuchs und hatte folglich wenig damit anfangen können, daß jemand ernsthaft die
Verbreitung theoretischer Schriften betrieb. Viel Text, kaum Bilder – das war
für die

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