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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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entstanden,
Offizielles gleich neben Intimem zur Sprache kam, Privates wie Öffentliches.
Vor allem wurden Entscheidungen getroffen, die zu treffen man eigentlich den
ganzen Tag Zeit gehabt hatte und genau dafür auch bezahlt wurde. Doch erst im
wohligen, nestartigen Gewölbe eines mit kleiner und großer Kunst zugehängten
Nobelrestaurants schienen die Mächtigen willens, über die Interessen ihrer
Interessengruppen hinweg sich im Handschlag des Kompromisses zu treffen.
Zumindest war das ihr eigener Eindruck, und zwar genau darum, weil sie sich dank
ihres gesellschaftlichen Auserwähltseins für Marionettenspieler hielten. Aber
die Wahrheit war natürlich die: Sie waren die
Marionetten. Ein Haufen mechanischer Puppen, die keine Ahnung davon hatten, in
einem Doppelsternsystem zu leben.
    Und diese Puppen saßen und standen wie auf einer Bühne, da nämlich
das Prinzipal zur Straße hin über hohe
Fensterscheiben verfügte, die man im Sommer so ineinander verschob, daß sie
fast vollständig verschwanden. Jedenfalls konnten die Spaziergeher zu jeder
Jahreszeit einen guten Blick in die berühmte Örtlichkeit werfen. Niemand jedoch
blieb stehen, um irgendeinem Staatssekretär beim Verzehr einer herzhaften
Gulaschsuppe zuzusehen. Das gehörte sich nicht. Und merkwürdigerweise hielten
sich die meisten Wiener daran. Was eigentlich gar nicht zu ihnen paßte. Aber
offensichtlich waren sie in diesem speziellen Fall äußerst vorsichtig. So, wie
man ja auch nicht in die taghelle Sonne oder in eine leuchtende Glühbirne
schaut.
    Es war ein aufregender Tag gewesen. Die Bilder, die von der
Plutosonde New Horizons zur Erde gefunkt worden
waren, hatten den Verdacht genährt, daß entweder mit den Kameras etwas nicht
stimmte oder mit dem Zwergplaneten. Doch wenn man ersteres ausschloß, mußte man
zu der Einsicht kommen, daß es sich bei den Gebilden um mehr handelte als um
bloß zufälligerweise ein bißchen hausartig dastehende geologische Formationen.
Nein, diese Gebilde ragten derart kompakt aus der ansonsten öden Oberfläche auf
und muteten derart technoid an, daß kaum anzunehmen war, der kleine, kalte
Pluto hätte sie ganz von alleine hervorgebracht. Vielmehr schien es so zu sein,
daß zum ersten Mal die Spuren einer fremden Zivilisation entdeckt worden waren.
Oder vielleicht sogar der eigenen, als sich selbige noch auf Pluto befunden
hatte. (Dieser Gedanke würde es sein, der bald die Köpfe beherrschen sollte:
die Vorstellung gottgleicher Urmenschen, die wegen irgendeines vorzeitlichen
Dramas ihren Standort gewechselt und von der klaren Kühle der Peripherie in die
gemäßigte Zone der inneren Planeten umgezogen waren, damit aber auch ein wenig
das Gottgleiche eingebüßt hatten. Was freilich logisch ist: Die klimatischen
Bedingungen der Erde bedingen spirituelle Trägheit und ein Dasein zwischen
Raubrittertum und Hängematte.
    Die Theorie von der Existenz von Göttern, die einst von Pluto
emigriert waren und sodann ihre Zuflucht auf der Erde mit Degeneration und
Rückfall in die Barbarei, den Sexus und die Besserwisserei hatten bezahlen
müssen, jedoch erst nach Jahrtausenden den Tiefpunkt erreicht hatten, nämlich
die Herausbildung der Automobilindustrie, diese Theorie fand ihre Bestätigung
in einem Fund, welchen der deutsche Paläontologe Maximilian Rorschach bereits
2010 der Öffentlichkeit präsentiert hatte. Und zwar vom Gefängnis aus, in
welchem er eine lebenslange Haftstrafe absaß wegen des Mordes an seiner Frau,
einer einst berühmten Schubert-Sängerin. Darum wohl hatte man Rorschach nicht
wirklich zugehört. Jetzt aber konnte man kaum noch ignorieren, daß dieser Mann
einen Stein analysiert hatte, dessen fossile Struktur eindeutig und in
oftmaliger Wiederholung die Kleinplanetennummer von Pluto offenbarte. Einen
Stein aus Dinosaurierzeiten.
    Rorschach wurde der Held einer neuen Bewegung, die – eingedenk des
bekannten Rousseauschen Diktums – dem Schlachtruf »Zurück zu Pluto« folgte. Wie
auch immer man sich das dachte. Jedenfalls erhielt jene Nummer 134340 einen
völlig neuen Status, wurde zur magischen Zahl, zum Tischlein-deck-dich einer
revolutionären Gottsuche. Und mit einem Mal dachte niemand mehr, wenn er den Namen
Rorschach hörte, an einen blöden Psychotest, sondern nur noch an einen weisen Stein und seinen Entdecker.
    Was indes nie bekannt wurde, war

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